• PhytoWPAdmin
  • Kommentare deaktiviert für Qualität von Phytopharmaka – In Deutschland und der EU auf hohem Niveau

Pflanzliche Arzneimittel bieten in der Europäischen Union (EU) einen hervorragenden Qualitätsstandard, der durch die hohen Hürden der Zulassungsverfahren und die strikte Kontrolle aller Produktionsprozesse gewährleistet ist. Die durchgehend strengen Qualitätsanforderungen bei der Herstellung sind mit einem äußerst hohen Aufwand verbunden, denn im Gegensatz zu den Monosubstanzen chemisch-synthetischer Arzneimittel basieren Phytopharmaka auf einem komplex zusammengesetzten biologischen Ausgangsmaterial. Die Qualität eines Phytopharmakons wird dabei entscheidend durch die Gewinnung des Rohstoffs und das jeweilige Herstellungsverfahren definiert. Dies impliziert, dass jeder Extrakt einzigartig und nicht mit anderen ähnlichen Produkten vergleichbar ist.

 

Phytopharmaka unterliegen wie alle Arzneimittel uneingeschränkt den strengen arzneimittelrechtlichen Regularien in Deutschland und der Europäischen Union. Arzneimittel sind gemäß der Definition des AMG Stoffe, die zur Heilung, Linderung oder zur Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden bestimmt sind. Sie müssen drei wesentliche Zielkriterien gewährleisten, nämlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Zur Qualitätssicherung von Phytopharmaka existiert ein umfassendes Netzwerk an Sicherheitsmechanismen. Die Produktionsprozesse erfolgen auf der Basis der gesetzlichen Vorgaben und sind in den Grundsätzen zur Guten Herstellungspraxis für Arzneimittel (GMP: Good Manufacturing Practice) verankert. Die Anwendung der GMP ist in Deutschland in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) und auf europäischer Ebene im EU-GMP-Leitfaden der Europäischen Kommission geregelt.

Hinzu kommen die Richtlinien zur Guten Praxis für die Sammlung und den Anbau von Arzneipflanzen (GACP: Good Agricultural And Collection Practice), die in den Leitlinien der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA (HMPC/EM(E)A: Committee on Herbal Medicinal Products/European Medicines Agency/Evaluation of Medicines for Human Use) formuliert sind. Daneben ist die Produktion und Anwendung von Phytopharmaka in weitere Qualitätssysteme eingebettet, wie die Gute Dokumentationspraxis (GDocP: Good Documentation Practice), ein Instrument der pharmazeutischen Industrie, das die Normen zur Erstellung und Fortführung von Dokumentationen festhält. Zentraler Zweck all dieser komplexen Regelwerke ist die Arzneimittelsicherheit und damit die Risikominimierung für den Patienten. Diese strengen Sicherheitsanforderungen gelten jedoch nur für Pflanzenprodukte mit Arzneimittelstatus, nicht aber für Nahrungsergänzungsmittel (selbst wenn diese Bestandteile von Arzneipflanzen enthalten) und auch nicht für pflanzliche Produkte, die aus aller Herren Länder über Internetangebote bezogen werden können.

 

Qualität und Sicherheit von Phytopharmaka beginnen schon beim Saatgut, Anbau und Ernte der Arzneipflanzen.

Bildnachweis: AdobeStock_24113960_Brad Pict

 

Besondere Herausforderungen für die Phytopharmaka-Produktion

Die Produktion pflanzlicher Arzneimittel stellt besondere Anforderungen an Herstellungsverfahren und Kontrollprozesse, vom Anbau der Pflanzen bis hin zur Verpackung und Auslieferung an den Arzneimittelmarkt. Pflanzen-Extrakte sind stets Vielstoffgemische, wobei der Rohstoff, das heißt die Pflanze bzw. deren Teile oder Bestandteile, naturgemäß einer hohen Variationsbreite unterliegen. Die Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels hängt demzufolge von zahlreichen Faktoren ab, beginnend beim Anbau, über den jeweiligen Herstellungsprozess (in der Regel Extraktion) bis hin zur Aufbereitung als Arzneimittel (siehe Kasten). Deshalb sind bei hochwertigen Phytopharmaka adäquate kontrollierte und standardisierte Verfahren etabliert, um die gebotene Sicherheit und eine konstante Zusammensetzung und Konzentration der Inhaltsstoffe zu gewährleisten. So stellen die GACP-Regeln für Anbau und Sammlung von Arzneipflanzen entsprechend hohe Ansprüche an die Qualität des Saatguts, die Kultivierung, Sammlung und Ernte sowie an die Verarbeitungsschritte wie z. B. das Trocknen des sensiblen Materials. Die Verordnung zur Anwendung der GMP wiederum sieht vor, dass die Herstellerfirmen und alle an der Produktion beteiligten Einrichtungen ein funktionierendes Qualitätsmanagement-System (QM-System) entsprechend der Art und dem Umfang der durchgeführten Tätigkeiten betreiben. Darüber hinaus muss das QM gewährleisten, dass die Produkte gleichbleibend nach den Qualitätsstandards hergestellt und geprüft werden. Bei der Produktion müssen somit umfängliche Spezifikationen zur Sicherung der Qualität über alle Stufen, das heißt von der Droge über den Extrakt bis hin zum Arzneimittel, erfolgen. Die Standardanforderungen beziehen sich auf die Identität und das Inhaltsstoffprofil von Droge und Extrakt, deren Reinheit sowie die Inhaltsstoffe und den Wirkstoffgehalt des daraus gewonnenen pflanzlichen Arzneimittels. Ebenso müssen Kontaminierungen mit mikrobiellen, toxischen oder Fremdsubstanzen ausgeschlossen werden und Prüfungen zur Galenik des pflanzlichen Arzneimittels gemäß der Darreichungsform sowie zu dessen Stabilität und Haltbarkeit erfolgen.

 

Jeder pflanzliche Extrakt ist einzigartig

Um einem pflanzlichen Arzneimittel die Verkehrsfähigkeit attestieren zu können, kommen drei Verfahren in Frage:

  • Die Zulassung traditioneller Phytopharmaka (Traditional use),
  • die Zulassung von Produkten, die unter den well-established use (WEU) fallen und
  • die Vollzulassung.

Um traditionelle pflanzliche Arzneimittel zu registrieren, reicht ein vereinfachtes Verfahren aus. Zum Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit werden bibliografische Angaben über eine mindestens 30-jährige Tradition medizinischer Verwendung, davon mindestens 15 Jahre in einem Land der EU, zugrunde gelegt. Die Hersteller beziehen sich in aller Regel auf Drogenmonographien, die aber unabhängig vom konkret vorliegenden Extrakt erarbeitet wurden. Für die Zulassung von Arzneimitteln des well-established use hingegen gelten wesentlich umfangreichere Vorgaben: Liegen neben einer mindestens zehnjährigen medizinischen Anwendung in einem Land der EU wissenschaftliche Nachweise zur anerkannten Wirksamkeit und Sicherheit der Wirkstoffe sowie eine ausreichende Dokumentation vor, ist der Antragsteller nicht verpflichtet, für die Zulassung Ergebnisse eigener präklinischer oder klinischer Studien einzureichen. Viele pflanzliche Arzneimittel besitzen darüber hinaus den vollen Zulassungsstatus, das heißt sie sind nach den gleichen Kriterien bewertet wie chemisch-synthetische Medikamente und verfügen über eine meist umfangreiche wissenschaftliche Datenlage mit entsprechenden klinischen und pharmakologischen Studien, die ihre Effizienz bestätigen. Sie enthalten in der Regel Spezial-Extrakte mit standardisiertem Wirkstoffgehalt (beispielsweise EGb761, STW 3-VI, BNO 1055). Die streng kontrollierten Spezifikationsprozesse, auf denen ihre Herstellung basiert, ermöglichen es, mit Spezial-Extrakten aussagekräftige klinische Studien durchzuführen. Diese komplex zusammengesetzten, nach Qualitätsstandards und durch spezielle, meist patentierte Verfahren produzierten Extrakte eines Herstellers können daher nicht ohne weiteres kopiert werden, selbst wenn sie die gleiche Pflanze enthalten. Auch die in klinischen Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit gewonnenen Erkenntnisse treffen immer nur für den einen geprüften Extrakt zu und können nicht auf andere „ähnliche“ Extrakte übertragen werden. Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen aus eigenen Studien ist die Wirkung pflanzlicher Arzneimittel mit vollem Zulassungsstatus als deutlich zuverlässiger einzuschätzen als die der registrierten Präparate. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich demzufolge auch die Frage nach dem Sinn der Entwicklung von Generika pflanzlicher Arzneimittel, die aufgrund der Einzigartigkeit von Extrakten eben nicht möglich ist, da schon der pflanzliche Rohstoff wie auch das individuelle Herstellungsverfahren die Arzneimittelqualität definieren.

 

Qualitätskriterien pflanzlicher Drogen und Extrakte

Rohstoff: Arzneipflanze

  • Saatgut: Herkunft, Züchtung/Sorte, Reinheit, Keimfreiheit
  • Anbau: Ort, Klima, Boden, Zeitpunkt, Düngung, Pflanzenschutz
  • Ernte: Bedingungen, Zeitpunkt, verwendete Technik
  • Erste Prozessierung: Trocknung, Lagerung, Verpackung

Pflanzen-Extrakt / Droge

  • Inhaltsstoffmuster, Restfeuchte, Schnitt
  • Auszugsmittel: Art, Konzentration, Menge
  • Herstellungsverfahren: Anlage, Chargengröße, Extraktionsprozess,
  • Zeit, Temperatur, Trocknung

(nach Prof. R. Fürst, KFN-Pressekonferenz 2019)

 

Fortlaufende Prüfungen durch Pharmakovigilanz

Wenn Phytopharmaka die Hürden der Marktzulassung passiert haben, trägt der Hersteller weitere Verantwortung für die Qualität und Sicherheit des Medikaments im alltäglichen Einsatz. Zu diesem geforderten Risikomanagement gehören kontinuierliche Pharmakovigilanz-Prüfungen. Sie umfassen die systematische Sammlung und Auswertung von Erfahrungen bei der Anwendung der Arzneimittel nach der Zulassung. Im Mittelpunkt der Überwachung stehen dabei schwerwiegende und seltene Nebenwirkungen sowie Arzneimittel-Wechselwirkungen. Zudem muss das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Behandlung auf der Basis neuer Erkenntnisse stetig aktuell eingeschätzt werden. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, potenzielle Risiken durch die Medikation abzuwenden bzw. notfalls die Öffentlichkeit zu informieren. Beispiele sind gemeldete Fälle von Lebertoxizität im Zusammenhang mit Schöllkraut-Applikationen oder Arzneimittelinteraktionen unter Johanniskraut-Therapie. Für den Patienten sind in der Regel die einschneidenden Unterschiede zwischen pflanzlichen Arzneimitteln, die diesen strengen Sicherheitsanforderungen genügen müssen, und anderen, z. B. in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Pflanzenprodukten nicht erkennbar. Umso mehr sind hier die Dienstleister im Gesundheitswesen gefordert, ihre beratende Funktion verstärkt wahrzunehmen. Dies gilt für Ärzte, insbesondere aber für Apotheker, da Phytotherapeutika häufig im OTC-Be-reich angewandt werden. Die Beratung zur Selbstmedikation mit zugelassenen, standardisierten und geprüften Phytopharmaka hoher Qualität stellt demzufolge ein Kerngebiet des Apothekerberufs dar – ein Aspekt, der schon bei der Aus- und Weiterbildung verstärkt Berücksichtigung finden sollte.

 

Arzneibücher und Monographien dienen als Orientierungshilfe für die Zulassung

Für die Zulassung und Registrierung der Phytopharmaka orientieren sich die zuständigen nationalen und europäischen Behörden BfArM und EMA an den Arzneimittel-Monographien. Die übergreifend entwickelten Standards für die Qualität und die vereinheitlichte, sichere Anwendung der pflanzlichen Präparate geben die Monographien des Deutschen Arzneibuchs und des Europäischen Arzneibuchs vor. Von 1978 bis 1995 wurden die Monographien von der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes (BGA) erstellt. Sie sind bis heute gültig und dienen als Grundlage für die Neuzulassung und Nachzulassung pflanzlicher Arzneimittel, wobei diese Aufgabe später auf europäischer Ebene vermehrt von der ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) wahrgenommen wurde. Bezüglich der Daten zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Präparate stützen sich die Zulassungsinstitutionen heute jedoch hauptsächlich auf die Daten des Ausschusses für harmonisierte europäische Monographien für pflanzliche Stoffe und pflanzliche Zubereitungen (HMPC/EMA). Dieser Ausschuss wurde 2004 bei der EMA eingerichtet, um mehr Einheitlichkeit auf dem Phytomarkt in den EU-Ländern zu erlangen. Die HMPC-Monographien repräsentieren heute die regulatorischen Standards, sind nicht unmittelbar bindend, gelten aber rechtlich als Empfehlungen. Inzwischen wurden mehr als 150 Monographien und über 40 Leitlinien verabschiedet. Die HMPC-Bewertungen stoßen jedoch in einigen Punkten auf berechtigte Kritik und sind daher nicht uneingeschränkt zu akzeptieren (siehe Seite 13). Zusätzlich zu den HMPC-Monographien gibt es die Monographiesammlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der länderübergreifenden Kooperation phytotherapeutischer Fachgesellschaften. Sie gelten nicht als offizielle Sammlungen, liefern aber zusätzliches wichtiges Informationsmaterial.

 

Dr. Dagmar van Thiel

PK 3/20