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Die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln sind bei allen medikamentösen Therapien die wichtigsten Aspekte und werden durch die hohen Hürden der Zulassungsverfahren gewährleistet. Immer wieder kommt es jedoch bei den Anwendern zu Verunsicherungen hinsichtlich potenzieller Gesundheitsrisiken einer Pharmakotherapie, wobei auch pflanzliche Arzneimittel nicht ausgespart bleiben. Beispiele sind Lebertoxizität durch Pyrrolizidin-Alkaloide, aber auch Arzneimittelinteraktionen von Johanniskraut. Ein sorgfältiges Abwägen zwischen Nutzen und Risiko ist deshalb von Bedeutung, um solche Befürchtungen rational einzuordnen.

 

Pflanzliche Arzneimittel haben eine lange Geschichte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war das Pflanzenreich fast die einzige Quelle für Heilmittel. Heute wird die Phytotherapie mit modernen Methoden erforscht und erfreut sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit. Für die Zulassung eines Arzneimittels sind Wirksamkeit, Sicherheit und pharmazeutische Qualität unabdingbar. Grundsätzlich gelten diese Bedingungen auch für Phytopharmaka. Für traditionelle Arzneimittel, deren Wirksamkeit auf langjähriger Erfahrung beruht, genügt eine Registrierung. Die komplett eigenständige Dokumentation für die Zulassung eines pflanzlichen Arzneimittels ist die Ausnahme. Meist wird neben eigenständig erarbeiteten Dokumenten für die pharmazeutische Qualität und den klinischen Wirksamkeitsanspruch auch auf Literatur oder Monografien verwiesen. Zugelassene Phytopharmaka unterliegen einem anspruchsvollen Risikomanagement inklusive der etablierten Verfahren der Pharmakovigilanz, die der frühzeitigen Erkennung potenzieller Gefahren und damit der Risikominimierung für den Patienten dienen.

Aufgrund ihrer komplexen Zusammensetzung ist die Festlegung der Qualität für pflanzliche Naturstoffe aber erheblich schwieriger als bei chemisch-synthetischen Monosubstanzen. So lange nicht identifiziert werden kann, welche Komponenten einer Arzneipflanze die spezifische Wirkung bestimmen, gilt der gesamte Extrakt als Wirkstoff. Eine anspruchsvolle Analytik gliedert sich bei Phytopharmaka in die Prüfung auf Identität und Reinheit sowie eine Extrakt-Charakterisierung durch das Droge / Extrakt-Verhältnis, das Auszugsmittel, Leitsubstanzen und ggf. wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe. Für die Reinheitsprüfung gelten besondere Anforderungen: Das Europäische Arzneibuch fordert ebenso wie die europäische Leitlinie „Quality of Herbal Remedies“ Prüfungen auf Rückstände von Aflatoxinen, Pflanzenschutzmitteln und Schwermetallen sowie auf eine mikrobiologische Belastung durch Bakterien und Pilze. Bei der Reinheitsprüfung stellt die Bestimmung der Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) einen Spezialfall dar, der in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist.

 

Pflanzliche Abwehrstrategie: Pyrrolizidin-Alkaloide

Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) sind keine chemischen Verunreinigungen wie Schwermetalle, sondern sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die von der Pflanze selbst zur Abwehr von Fraßfeinden gebildet werden. PA kommen in zahlreichen Pflanzen vor, vor allem in Korbblütlern (Asteraceae), Raublattgewächsen (Boraginaceae) und Hülsenfrüchtlern (Fabaceae oder Leguminosae). Bereits mehr als 660 unterschiedliche PA in rund 6000 Pflanzen wurden bisher beschrieben.

PA können biologische Produkte kontaminieren, von Nahrungsmitteln und Getränken bis zu Nahrungsergänzungs- und pflanzlichen Arzneimitteln. Wie viel PA eine Pflanze enthält, variiert erheblich, abhängig von Klima, Bodenbeschaffenheit und Erntezeitpunkt und dem verwendeten Pflanzenteil. Der namensgebende Grundkörper aller PA ist das Pyrrolizidin, das in dieser unsubstituierten Form im Pflanzenreich jedoch kaum vorkommt, sondern oft in Form von Esteralkaloiden vorliegt, deren Aminoalkohol-Anteile auch als Necine bezeichnet werden.

Schon vor mehreren Jahrzehnten sind PA in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt, als einzelne Fälle von Leberschäden bei Menschen, aber auch bei Weidetieren beschrieben wurden. Toxisch sind nicht die PA selbst, sondern deren Stoffwechselprodukte im Körper. Da diese Metabolite überwiegend in der Leber gebildet werden, treten mögliche Schäden meist auch dort auf. In in vitro Experimenten und in Tierversuchen wurden für eine Reihe von PAs zudem mutagene und kanzerogene Wirkungen nachgewiesen. Die Übertragbarkeit dieser Befunde auf die Situation des Menschen ist eine wissenschaftlich nicht abgeschlossene Fragestellung. Die regulatorische Toxikologie soll einerseits die Risikovermeidung sicherstellen (bei Arzneimitteln ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis attestieren) und zugleich einen verlässlichen Rahmen bieten, in dem die erforderlichen präklinischen Daten erarbeitet werden können. Dieses kodifizierte Vorgehen steht der raschen Umsetzung wissenschaftlichen Fortschritts in harmonisierte Leitlinien entgegen, die regelmäßig eine internationale Abstimmung der Zulassungsbehörden benötigen.

 

Bessere Pflanzenzüchtung, sorgfältige Auslese

PA können in wild gesammelten Pflanzen selbst enthalten sein oder durch mitgeerntete Unkräuter in einen Tee oder einen pflanzlichen Rohstoff gelangen. Pharmazeutisch genutzte Drogen mit natürlichem PA-Gehalt sind beispielsweise Huflattichblätter (Tussilago farfara) und Beinwellwurzel (Symphytum officinale, L.). Die PA-Problematik von Huflattich, die vor Jahren auf das Problem der PA aufmerksam gemacht hatte, hat sich inzwischen dadurch entspannt, dass eine PA-arme Sorte gezüchtet werden konnte. Heute kann ein Aufguss von Huflattichblättern mit Arzneibuchqualität unbesorgt als schleimlösender Hustentee verwendet werden. Von einer Wildsammlung ist jedoch ebenso abzuraten wie von nicht qualitätsgesicherter Ware.

Der Gemeine Beinwell (Symphytum officinale, L.) ist eine seit 2000 Jahren etablierte, europäische Heilpflanze, deren therapeutischer Einsatz in den letzten Jahren aufgrund des Gehaltes an PA nur begrenzt möglich war. Auch hier ist die Züchtung von speziellen Beinwell-Hybriden gelungen, die nur sehr geringe Mengen an PA enthalten. Heute kann Beinwell-Extrakt als topische Zubereitung bei Muskel- und Gelenkschmerzen wieder eingesetzt werden. Ein zunehmendes Problem stellen allerdings PA-haltige Beikräuter dar, die bei der Ernte die Drogen kontaminieren. Besonders viele Kreuz- oder Greiskräuter, wie das Jakobs-Kreuzkraut (Senecio jacobaea) und das Gemeine Greiskraut (Senecio vulgaris) wachsen an Feldrändern, in Wiesen, und Ackerbrachen. Die anhaltenden Dürreperioden der letzten Jahre, die den robusten Kräutern wenig anhaben können, verschärfen das Problem.

In den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit rückten die PA durch Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) an Kräutertees, die im Juli 2013 veröffentlicht wurden. Neben Lebensmitteltees fielen dabei auch einige Arzneitees auf, die zu stark mit PA belastet waren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) legte 2016 mit der „Bekanntmachung zur Prüfung des Gehalts an PA zur Sicherstellung der Qualität und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln, die pflanzliche Stoffe beziehungsweise pflanzliche Zubereitungen oder homöopathische Zubereitungen aus pflanzlichen Ausgangsstoffen als Wirkstoffe enthalten“ einen oberen Grenzwert von 1,0 µg PA fest, bezogen auf eine Tagesdosis. Die maximal tolerierte Menge an PA wurde vom europäischen Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products HMPC) auf täglich 0,007 µg PA/kg Körpergewicht sowohl für Erwachsene als auch für Kinder begrenzt. Für einen Erwachsenen mit 50 kg ist nach dieser Richtlinie also eine Menge von 0,35 µg noch erlaubt. Grundlage all dieser Entscheidungen ist das Vorsorgeprinzip, das schon bei einem Verdacht auf ein gesundheitliches Risiko darauf abzielt, mögliche Schäden zu minimieren.

 

Ausgefeilte Analytik, variabler Stoffwechsel

Heute können potenziell gesundheitsgefährdende PA schon in geringsten Spuren in unserer Umwelt nachgewiesen werden. Eine interdisziplinär zusammengestellte Forschergruppe um Michael Koller, Zentrum für Klinische Studien Universität Regensburg, hat 2017 und 2018 zwei Übersichtsarbeiten zur Nutzen-Risiko-Bewertung von PA-assoziierten Risiken beim Menschen publiziert, einerseits zu mit PA verunreinigten Tees und Kräutertees (Habs M., Koller M. et al., Nutrients 2017, 9, 717, doi:10.3390/nu9070717) andererseits zur Nutzen-Risiko-Bewertung von Johanniskraut-Zubereitungen (Habs M., Koller M. et al., Nutrients 2018, 10, 804, doi:10.3390/nu10070804).

Mit modernen Verfahren lassen sich PA Verunreinigungen in Aufgüssen von zahlreichen Heilkräutern und Teesorten nachweisen. Deutlich komplexer gestaltet sich die Antwort auf die Frage nach der Relevanz dieser Befunde für Menschen, die regelmäßig Kräuteraufgüsse, Schwarztee oder Grünen Tee trinken. Die Risikoanalyse der experimentellen Daten und der vergleichenden toxikokinetischen Daten im Tiermodell und am Menschen belegen, dass es große Unsicherheiten gibt in der Übertragbarkeit auf das tatsächliche oder mögliche Risiko für den Menschen. Neben der Dosisextrapolation sind dabei die Ätiologie und Pathogenese und die wahrscheinliche Organotropie der Toxizität nach PA-Exposition zu berücksichtigen. Das Hämangiosarkom der Leber ist der Signaltumor bei Nagern nach chronischer Exposition. Er ist beim Menschen sehr selten. Die Analyse der Epidemiologie des Leberkrebses beim Menschen benennt als wesentlichste Ursache Tumoren in Folge einer Hepatitis. Berücksichtigt man die weiteren bekannten menschlichen Kanzerogene für die Leber so wird deutlich, dass PAs für sich genommen für die Allgemeinbevölkerung keine oder nur eine vernachlässigbar kleine Rolle spielen können. Dies macht der Vergleich mit akzeptierten Alltagsrisiken und Gesundheitsrisiken deutlich. Berücksichtigt man zusätzlich den gesundheitlichen Nutzen des Teetrinkens, der aus kontrollierten klinischen Studien bekannt ist, so sollte das Trinken von Tee- und Kräuteraufgüssen weiterhin empfohlen werden. Würden beispielsweise Verbraucher auf gesüßte Säfte und Softdrinks ausweichen, drohe wiederum eine erhöhte Inzidenz von Diabetes Typ-2-Erkrankungen. Dies bedeutet allerdings keinen Freibrief für die Hersteller nicht alles Erforderliche zu tun, um eine gute Produktqualität zu sichern und eine vermeidbare Exposition mit potenziell gefährlichen PAs zu verhindern.

 

Johanniskraut-Extrakt ist wirksam und verträglich

In die gleiche Richtung weist die im Folgejahr vorgelegte Übersicht zum Nutzen-Risiko-Profil von Johanniskraut-Zubereitungen. Schon einige wenige PA synthetisierende Pflanzen in einem Johanniskrautfeld reichen aus, um die Droge für die Herstellung von Arzneimitteln unbrauchbar zu machen. Also sollte der mögliche Nutzen von Johanniskraut-Extrakt-Präparaten als pflanzliche Alternative zu chemisch definierten Antidepressiva bei depressiver Verstimmung, leichten und mittelgradigen Depressionen abgewogen werden gegenüber den möglichen Risiken einer ungewollten geringgradigen PA-Exposition. Die Autoren kamen in ihrer Analyse zu dem eindeutigen Schluss, dass Johanniskraut-Extrakt eine wirksame und sichere Behandlungs-Option bei leichten bis mittelschweren Depressionen darstellt und ein Gesundheitsrisiko durch diese PA-Belastung nicht zu erwarten ist bzw. der therapeutische Nutzen klar überwiegt im Vergleich zum (hypothetischen) Risiko der unerwünschten PA-Aufnahme.

Die Inhaltsstoffe von Johanniskraut-Extrakt können ebenso wie die Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) die Aktivität bestimmter Neurotransmitter, wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Glutamat und GABA in den Regionen des Gehirns beeinflussen, die durch die Pathophysiologie der Depression gestört sind. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen von Johanniskrautzubereitungen gehören eine erhöhte Lichtempfindlichkeit der Haut, sonnenbrandähnliche oder allergische Reaktionen, Unruhe oder Müdigkeit sowie gastrointestinale Beschwerden. Johanniskraut-Extrakt ist aufgrund seines Gehalts an Hyperforin ein Induktor des Leberenzyms Cytochrom (CYP)450 und des Transporterproteins P-Glykoprotein und kann so die Effekte anderer Medikamente wie Immunsuppressiva, HIV-Proteaseinhibitoren und Kontrazeptiva mindern. Die Wirksamkeit von Johanniskraut-Extrakt bei leichten bis mittelschweren Depressionen wurde in zahlreichen klinischen Studien belegt. Das Phytopharmakon wirkt ebenso gut wie ein SSRI und weist dabei deutlich weniger Nebenwirkungen auf.

Die Gabe eines Arzneimittels mit Johanniskraut-Extrakt erfordert jedoch eine sorgfältige Beratung durch einen Arzt oder Apotheker, um vom Patienten oder Verbraucher sicher und adäquat angewandt zu werden. Denn bei der Suche nach einem pflanzlichen Heilmittel im Rahmen der Selbstmedikation stößt der Verbraucher auf einen verwirrenden Markt, auf dem sich neben pflanzlichen Arzneimitteln auch zahlreiche Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) tummeln. Dem Verbraucher ist der Unterschied zwischen den einzelnen Produktkategorien meist nicht bewusst, wenn er ein Präparat ohne Beratung beim Discounter, Drogeriemarkt oder im Internet erwirbt. Medizinprodukte müssen jedoch vor einer Zertifizierung lediglich eine so genannte Konformitätsbewertung durchlaufen, bei der meist der Hersteller selbst die Qualität und Sicherheit des Produktes dokumentiert. Auch für NEM sind keine aufwändigen Studien zur Wirksamkeit erforderlich, da sie nicht dem Arzneimittel-, sondern dem Lebensmittelrecht unterliegen.

Selbst innerhalb der Gruppe der pflanzlichen Arzneimittel existieren deutliche Unterschiede. Phytopharmaka sind untereinander nicht austauschbar, wie meist die Generika chemisch definierter Arzneimittel. Erntezeitpunkt, Trocknung und Lagerung beeinflussen das Endprodukt ebenso wie der Herstellungsprozess: Je nach Extraktionsmittel, ob polar oder apolar, je nach Extraktionsverfahren und dem Droge / Extrakt-Verhältnis (DEV) werden aus gleichem pflanzlichen Ausgangsmaterial Extrakte gewonnen, die sich in Art und Menge der Inhaltsstoffe deutlich unterscheiden können. Ohne genaue Kenntnisse über den Herstellungsprozess könnte ein Vergleich verschiedener Phytopharmaka schnell dem zwischen Äpfeln und Birnen ähneln. Diese Unterschiede zu vermitteln ist eine der vornehmlichen Aufgaben bei der Patientenberatung in der Offizin wie auch in der ärztlichen Praxis.

 

Hannelore Gießen

PK 4/2020