Mögliche gesundheitliche Risiken von Leuchten auf LED-Basis werden schon seit längerem in Fachkreisen diskutiert. Blaues Licht emittierende Leuchtdioden (LEDs) stehen vor allem im Verdacht, die Netzhaut zu schädigen. Doch die Diskussion um mögliche Gefahren der modernen Lichtquellen scheint noch immer nicht endgültig abgeschlossen zu sein.
Nachdem die Europäische Union im Jahre 2009 beschlossen hat, die Verwendung von Glühlampen stufenweise in Abhängigkeit von der Leistung zu verbieten, ersetzen Lampen auf LED-Basis sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich immer mehr andere Leuchten und finden in Beleuchtungssystemen im Verkehr, in Computern, im Haushalt oder in der Unterhaltungselektronik breite Verwendung. Sie verbrauchen im Gegensatz zur Glühbirne extrem wenig Energie und sind im Gegensatz zur Leuchtstoffröhre flimmerfrei. Außerdem sorgen sie mit ihrer sehr langen Lebensdauer von bis zu 50.000 Betriebsstunden für Kostenersparnis.
Ein Nachteil der neuen Lichtquellen wurde jedoch in mehreren Studien bestätigt: LEDs, die weißes Licht emittieren, enthalten einen hohen Anteil an Blaulicht. Dieses ist energiereicher und kann in einem höheren Maß als Licht längerer Wellenlängen zu einer photochemischen Schädigung der Retina führen. Blaues Licht emittierende Leuchtdioden (LEDs) können die Netzhaut schädigen und so zu bleibenden Sehschäden führen, warnt zum wiederholten Male ANSES, die französische Gesundheitsagentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz. Sie widerspricht damit den Stellungnahmen anderer Institutionen, die zu einer differenzierteren Betrachtung des Themas raten (Anses, Effets sur la sante? humaine et sur l‘environnement (faune et flore) des diodes électroluminescentes (LED) 2019).Unter Blaulichtgefährdung wird das potenzielle Risiko einer photochemischen Schädigung der Netzhaut verstanden, ausgelöst durch Strahlung (bevorzugt im Wellenlängenbereich zwischen 400 nm und 500 nm). Die aufgenommene Energie des Lichts wird in chemische Reaktionsenergie umgesetzt. Es können beispielsweise reaktionsfreudige Sauerstoff-Formen entstehen, welche die Zellen der Netzhaut, wie z.B. Photorezeptoren oder Zellen des retinalen Pigmentepithels (RPE), schädigen. Je kälter das Licht, umso höher der Blauanteil in der Strahlung, der bei längerer Einwirkzeit der Netzhaut schaden kann.
Weil die Verbreitung von LEDs und ihre Anzahl weiter zugenommen hat, unternahm ANSES eine Aktualisierung ihrer 2010 durchgeführten Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen von LEDs (Jaadane I. et al. (20715), Retinal damage induced by commercial hight emitting diodes (LEDs) Free Radic Biol Med 84: 373-384). Das neue Expertengutachten deckt alle LED-Systeme ab und berücksichtigt alle seit 2010 gewonnenen wissenschaftlichen Daten. Die aktuelle Beurteilung bekräftigt laut ANSES die frühere Warnung: „Die neuen wissenschaftlichen Daten bestätigen das Ergebnis von 2010 in Bezug auf die Toxizität von blauem Licht für das Auge, die zu Sehschwäche führen kann. Sie zeigen kurzfristige phototoxische Effekte in Verbindung mit akuter Exposition und langfristige Effekte in Verbindung mit chronischer Exposition, die das Risiko der Entwicklung einer altersbedingten Makuladegeneration (ARMD) erhöhen (Jaadane I. et al, Retinal phototoxicity and the evaluation of the blue light hazard of a new solidstate lighting technology, Sci Rep 10, 6733 (2020), doi: 10.1038/541598-020-63442-5).
Blaues Licht verstellt die Innere Uhr
Die Autoren des neuen Gutachtens betonen darüber hinaus, dass bereits sehr geringe Blaulichtexpositionen am Abend oder in der Nacht den biologischen Rhythmus und damit den Schlaf stören. Bildschirme von Computern, Smartphones und Tablets sind die Hauptquellen für blaues Licht. Kinder und Jugendliche, deren Augen das blaue Licht nicht vollständig filtern, stellen deshalb eine besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe dar (siehe Kasten). ANSES empfiehlt daher, die Verwendung von LED-Geräten mit dem höchsten Blaulichtanteil insbesondere für Kinder einzuschränken und die Lichtverschmutzung so weit wie möglich zu reduzieren, um die Umwelt zu schonen.
Wer aus kurzer Distanz länger als zehn Sekunden in eine LED schaut, die blaues oder weißes Licht aussendet, kann seine Netzhaut gefährden, weil bereits dann der Expositionsgrenzwert für die photochemische Netzhautgefährdung überschritten sein kann. Zu diesem Ergebnis kamen bereits im Jahre 2013 Forscher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die im Rahmen eines Forschungsprojekts 43 LEDs im sichtbaren Spektralbereich auf die photobiologische Sicherheit hin untersucht haben (Udovicic L. et al., Photobiologische Sicherheit von Licht emittierenden Dioden (LED). Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2013). Die Summe der Einzelexpositionen kann diese Zeit an bestimmten Arbeitsplätzen (z. B. in der LED-Industrie, bei der Installation von Beleuchtungsanlagen, in der Theater- und Bühnenbeleuchtung) rasch übersteigen, so die Dortmunder Wissenschaftler.
Welche Patientengruppen blaues Licht meiden sollten
Laut aktueller Stellungnahme von ANSES sollten folgende Personengruppen die
Exposition mit blauem LED-Licht begrenzen und stattdessen eine „warmweiße” häusliche Beleuchtung bevorzugen:
- aphakische (linsenlose} und pseudophake (intraokulare Kunstlinsen tragende} Personen;
- schwangere Frauen aufgrund möglicher gesundheitlicher Auswirkungen auf das ungeborene Kind (z. B. Störung der zirkadianen Uhr);
- ältere Menschen (Gefahr durch Blendung);
- Fachleute mit besonders hoher Exposition durch LED-Beleuchtung und Nachtarbeiter (Störung der zirkadianen Uhr und Phototoxizität);
- Menschen, die an Augenkrankheiten bzw. -anomalien (Phototoxizität) oder an Schlafstörungen (Störung der zirkadianen Uhr) oder an Migräne {Risiko Flackerlicht) leiden.
Entwarnung für Laptop und Smartphone?
Für die durchschnittlichen Benutzer von blau strahlenden digitalen Medien bestehe indes kein Grund zur Beunruhigung, unterstrich die BAuA-Arbeitsgruppe um Dr. Ljiljana Udovicic auf dem letztjährigen Kongress der Internationalen Beleuchtungskommission CIE in Washington: „LED-Lampen, die für die Allgemeinbeleuchtung verwendet werden, sind hinsichtlich ihres Potenzials, eine photochemisch induzierte Netzhautverletzung zu verursachen, den herkömmlichen Lampen ähnlich und können unter normalen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen als sicher angesehen werden. Das direkte Anstarren einer Lampe für die Allgemeinbeleuchtung über eine längere Betrachtungszeit würde nicht als normales Verhalten angesehen werden. Gemessene effektive Blaulicht-Strahlungsstärken des Laptops und eines Smartphone-Displays sind viel niedriger als das Niveau, das bekanntermaßen photochemische Netzhautverletzungen verursacht. Daher stellen Computer-, Laptop- und Smartphone Displays keine Gefahr für die Augen dar” (Udovicic, L., Janßen, M., Photobiological safety of common office light sources, Conference Paper 2019, DOI: 10.25039/x46.2019.P0110).
Ähnlich beurteilen Prof. Dr. Martin Heßling, Studiendekan der Fakultät Mechatronik und Medizintechnik an der Technischen Hochschule Ulm und seine Kollegen die Sachlage: „In der aktuellen Diskussion über die möglichen Gefahren und gesundheitlichen Folgen von LED-Licht für verschiedene Beleuchtungszwecke inklusive Bildschirmen wird oft nicht beachtet, dass LEDs nicht die einzigen Lichtquellen mit signifikantem Blauanteil sind. Leuchtstoffröhren oder Energiesparlampen werden seit Jahrzehnten genutzt, obwohl auch sie Emissionspeaks im blauen, violetten und ultravioletten Spektralbereich aufweisen. Und mit der Sonne existiert seit Beginn des Lebens auf der Erde eine Lichtquelle mit starkem blauem und sogar ultraviolettem Anteil” (Heßling M. et al, Gefahr durch LED-Licht?, Der Ophtalmologe 116, 625-630/2019), https://doi.org/10.1007/s00347-018-0778-x).
Martin Heßling und seine Kollegen weisen darauf hin, dass die Studien der französischen Forschergruppe um Neurobiologin Dr. Imène Jaadane mit Hochleistungs-LEDs bzw. hohen Bestrahlungsdosen im Tiermodell mit Ratten durchgeführt worden sind. Eine umfassende Studie der EU-Kommission kommt — trotz Berücksichtigung der publizierten Arbeiten über LED-Netzhautschädigungen — zum (vorläufigen) Resultat, dass unter normalen Beleuchtungssituationen zumindest für Erwachsene keine besondere Gefährdung durch blaues LED-Licht zu erwarten ist (SCHEER (Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks), Opinion on Potential risks to human health of Light Emitting Diodes (LEDs), 6. June 2018).
Die Quintessenz der Ulmer Wissenschaftler lautet: „LEDs können eine neue Belastung für die menschliche Gesundheit darstellen, aber diese liegt in einer vergleichbaren Größenordnung wie die bereits seit Jahrzehnten bekannte Belastung durch Leuchtstoffröhren oder durch Tageslicht. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen LEDs, aber warmweiße LEDs scheinen im Hinblick auf die Blaulichtgefährdung und die Melatoninhemmung sogar noch günstigere Eigenschaften aufzuweisen als Halogenlichtquellen.“
Lajos Schöne
PK 6/2021