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Der Darm ist nicht nur ein Verdauungsorgan – vielmehr hat er als wichtiger Teil des Immunsystems auch die Funktion einer Barriere, um Pathogene am Eindringen in den Organismus zu hindern. Bei allen Darmfunktionen spielt die intestinale Mikrobiota eine bedeutende Rolle, die zunehmend im Blickpunkt der Forschung steht. Auch gibt es Hinweise, dass die Darmflora ein Hauptregulator neurophysiologischer Prozesse ist, die sich auf Verhalten und Gemütszustand auswirken und auch bei Depressionen eine Rolle spielen. Neue Erkenntnisse über die Interaktion zwischen Darm, Mikrobiom und ZNS, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, liefern mögliche Ansatzpunkte für neue Therapieformen.

Der Darm verfügt über ein eigenes autonom arbeitendes Nervensystem, das auch als Darm-Hirn bezeichnet wird. Es steht jedoch mit dem Gehirn über Neurotransmitter und andere Botenstoffe in enger Verbindung. Beim Austausch von Informationen spielt das Mikrobiom eine wichtige Rolle. Die menschliche Darmflora besteht aus Billionen symbiotischer Bakterien, Viren und Pilzen, die etwa ein bis zwei Kilogramm des Körpergewichts bestreiten. Das intestinale Mikrobiom gilt zunehmend als eine wichtige Komponente im komplexen Zusammenspiel von Ernährung, Nährstoffkomponenten und Immunsystem, aber auch der seelischen Gesundheit.
Um auf die Darm-Hirn-Achse Einfluss auszuüben, gibt es verschiedene Möglichkeiten. So kann beispielsweise eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflussen (Wu GD et al., Linking long-term dietary patterns with gut microbial enterotypes, Science. 2011; 334 (6052): 105-108). Daneben stehen für die Darmflora relevante Stoffe zur Verfügung, die als Präbiotika, Probiotika und Postbiotika bezeichnet werden. Ihnen wird zugesprochen, dass sie über die Darm-Hirn-Achse positive Effekte auf die Psyche ausüben. Daher werden sie oft auch „Psychobiotika“ genannt (Mörkl S et al., Psychobioties: biotherapeutics for positive mental health, The Oxford Handbook of the Microbiome-Gut-Brain Axis. 2020. DOL: 10.1093/oxfordhb/9780190931544.013.7).
Dysbiosen scheinen dementsprechend offensichtlich das Risiko für psychische Störungen zu erhöhen. Ein Ansatzpunkt der aktuellen Forschung ist z. B. die Annahme, dass die Zusammensetzung der Darmbakterien bei depressiven Personen verändert ist.

 

Innovative Therapieeinsätze bei Depression

„Depressionen betreffen derzeit circa 350 Millionen Menschen weltweit. Neue Therapieansätze, die das Mikrobiom sanieren, sowie diätbasierte Interventionen, könnten einen innovativen und gut verträglichen Therapieansatz darstellen“, sagt Prof. Dr. med. Undine Lang, Direktorin der Klinik für Erwachsenen-Psychiatrie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel sowie Ordinaria für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel. „Im Fokus steht derzeit die Gabe von Substanzen zur Nahrungsergänzung wie Calcium, Chrom, Folsäure, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, den Vitaminen D, B12, B1, Zink, Magnesium, D-Serinen, S-Adenosylmethioninen, aber auch eine adaptierte mediterrane Diät und der Austausch von Darmbakterien” (Lang UE et al, Die Rolle der Ernährung bei Depressionen, Psychiatrie & Neurologie 2/2016, 22-24).
Eine Forschungsgruppe um Undine Lang an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel beschäftigt sich schon seit langem mit der Frage der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn.
Die Psychiaterin erläutert auf ihrer Internetseite www.undinelang.ch: „90 Prozent der Informationen gehen vom Darm zum Gehirn und nur 10 Prozent der Informationen gehen vom Gehirn zum Darm. Der Darm beeinflusst also die Psyche stärker als umgekehrt. Er steuert, ob wir Appetit haben oder satt sind, er kann das Lernen verbessern und die Stimmung beeinflussen, er kann Craving (ein starkes Verlangen; Anmerkung der Redaktion) und Suchtverhalten erzeugen.“
Mehr noch: „Darmhormone können Angst erzeugen, und Bakterien im Darm bilden wichtige Hirnbotenstoffe. Bei verschiedenen psychischen Erkrankungen wurde diskutiert, dass der Darm in der Therapie Relevanz haben könnte — zum Beispiel bei Depressionen, Stress, Demenz, Abhängigkeitserkrankungen, Autismus und Aufmerksamkeitsdefizitstörungen.”
Die Forschergruppe um Undine Lang untersucht derzeit die Frage, ob in Zukunft durch eine Ernährungsumstellung die Gabe von Bakterien (Probiotika) oder gar durch einen Austausch von Darmbakterien, dem Mikrobiomtransfer, psychische Erkrankungen behandelt werden können.
Frühere Ergebnisse aus einer Beobachtungsstudie haben bereits Hinweise geliefert, dass eine fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT) bei Patienten mit Reizdarmsyndrom depressive Symptome zu reduzieren vermag (Kurokawa S et al., The effect of fecal microbiota transplantation on psychiatrie symptoms among patients with iIrritable bowel syndrome, functional diarrhea and functional constipation: an open-label observational study, J. Affect. Disord. (2018) 235: 506-12. doi: 10.1016/j.jad80.2018.04.038).

 

Die Forschung liefert neue Hinweise für den Zusammenhang zwischen der intestinalen Mikrobiota und der Psyche. Daraus ergeben sich neue therapeutische Aspekte für die antidepressive Therapie.

Bildnachweis: AdobeStock_179618020_Jonas Glaubitz

 

Stuhl-Transfer zeigt positiven Effekt auf Depressionen

Erste Ergebnisse aus der Studie der Basler Forscher liegen mittlerweile vor und wurden vor wenigen Wochen im Februar 2022 im Fachblatt “Frontiers in Psychiatry“ publiziert (Do// JPK et al, Fecal Microbiota Transplantation (FMT) as an Adjunctive Therapy for Depression —- Case Report, Front. Psychiatry, 17 February 2022, https://dof.org/10.3389/fpsyt.2022.815422). Die Basler Wissenschaftler stellten in einer Fallstudie zwei Patienten mit einer schweren depressiven Störung vor, die erstmals mit einer fäkalen Mikrobiota-Transplantation (FMT) additiv zur herkömmlichen Therapie behandelt wurden. Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Undine Lang und Dr. André Schmidt, Forschungsgruppenleiter Translationale Neurowissenschaften, durchgeführt.
Erste Ergebnisse aus der Studie der Basler Forscher liegen mittlerweile vor und wurden vor wenigen Wochen im Februar 2022 im Fachblatt “Frontiers in Psychiatry“ publiziert (Do// JPK et al, Fecal Microbiota Transplantation (FMT) as an Adjunctive Therapy for Depression —- Case Report, Front. Psychiatry, 17 February 2022, https://dof.org/10.3389/fpsyt.2022.815422). Die Basler Wissenschaftler stellten in einer Fallstudie zwei Patienten mit einer schweren depressiven Störung vor, die erstmals mit einer fäkalen Mikrobiota-Transplantation (FMT) additiv zur herkömmlichen Therapie behandelt wurden. Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Undine Lang und Dr. André Schmidt, Forschungsgruppenleiter Translationale Neurowissenschaften, durchgeführt.
Vier Frauen (zwischen 50 und 60 Jahre alt) erhielten vor Beginn der Studie die übliche Behandlung, eine pharmakologische Therapie, Psychotherapie und zusätzliche medizinisch-therapeutische Behandlungen. Im Verlauf der Intervention nahmen zwei von ihnen innerhalb von 90 Minuten 30 gefrorene Kapseln, die eine Suspension aus dem Stuhl eines gesunden Spenders enthielten, ein. Die beiden Vergleichspatienten bekamen entsprechend ein Placebo.
Der ursprünglich geplante Verlauf der Studie musste allerdings wegen eines aktuellen Ereignisses radikal geändert werden. Die Forschungsgruppe berichtet: „Während unsere randomisierte kontrollierte Studie (RCT) lief, veröffentlichte die Food and Drug Administration eine Sicherheitswarnung bezüglich FMT und wir entschieden uns, die Studie aus Sicherheitsgründen abzubrechen, nachdem wir bislang insgesamt vier Patienten eingeschlossen hatten. Deshalb berichten wir nur über die klinischen und sicherheitsrelevanten Ergebnisse von zwei Fällen, die das aktive Produkt bereits erhalten hatten.”

 


Fäkaltherapie: Heilen mit fremden Keimen

Obwohl bereits 1958 erfolgreich erprobt, wurde die Fäkaltherapie, auch Stuhltransplantation, Stuhlverpflanzung oder im angelsächsischen Sprachgebrauch „fecal microbiota transplantation” (FMT) genannt, jahrzehntelang skeptisch betrachtet und als unappetitlich abgetan, berichten Gastroenterologen um Prof. Dr. Stephan Vavricka am Universitätsspital Zürich (Vavricka S et al., Stuhltransplantation – ein alter und neuer Therapieansatz, Schweizerisches Medizin-Forum 2015; 15 (49) 1147-1154). Erst 2013 kam mit einer neuen Studie die Therapie wieder in die Diskussion. Inzwischen belegen fundierte wissenschaftliche Daten eindeutig die Wirksamkeit der Behandlung: Zwischen 80 und 90 Prozent der behandelten Patienten wurden von einer chronischen Darmentzündung dauerhaft geheilt, viele sogar schon nach einer einzigen Stuhltransplantation.
Die Idee, Fäkalien als Heilmittel einzusetzen, ist nicht neu. Ägyptische Papyri belegen, dass dort schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert Kranke mit menschlichen und tierischen Exkrementen behandelt worden sind. Noch im Mittelalter wurden in Mitteleuropa Ausscheidungen von Mensch und Tier zu Heilzwecken genutzt. Die Chinesische Medizin kannte die Fäkaltherapie bereits im vierten Jahrhundert, heben Stephan Vavricka und seine Kollegen hervor.
Ekelgefühle angesichts der Begriffe „Stuhltransplantation“ oder „Fäkaltherapie” sind übrigens fehl am Platz: Die Ärzte übertragen ja keine Exkremente, sondern lediglich Mikroben in einem Filtrat, das aus dem Stuhl eines gesunden Spenders entstammt. Die Kotprobe wird mit Kochsalzlösung verdünnt, homogenisiert und sorgfältig filtriert.
Für die Übertragung der bakterienhaltigen Suspension bieten sich verschiedene Wege an: In den meisten der über 3.000 bisher dokumentierten Therapien wurde das mikrobielle Substrat von unten mit einem Endoskop oder durch Einlauf in den Enddarm des Empfängers appliziert. Auch das Einbringen der Lösung über den Magen oder Zwölffingerdarm mit Hilfe eine Nasensonde ist möglich. Mittlerweile kann gesunder Spenderstuhl in Biobanken tiefgefroren gelagert und in Kapselform als orales Präparat verabreicht werden.


 

Beeindruckende Reduktion der Symptome

Das Ergebnis der Behandlung beider Patientinnen war trotz der minimalen Teilnehmerzahl beeindruckend. Vier Wochen nach der oralen Einnahme der FMT-Kapseln verbesserten sich die depressiven Symptome bei beiden Frauen. Die Patientinnen, die lediglich Placebo-Kapseln eingenommen hatten, zeigten zwar ebenfalls Verbesserungen ihrer Symptome, der Effekt hielt jedoch nur zwei Wochen an. Eine der Placebo-Patientinnen berichtete sogar über verstärkte depressive Symptome, die sie davon abhielten, zur Nachuntersuchung zu erscheinen.
Die beiden Patientinnen, die das aktive FMT-Produkterhalten hatten, fühlten sich in der Folgezeit in Bezug auf ihre Depressions-Symptome besser, was auch durch die Messung mittels Beck-Depressions-Inventar (BDI-Il) bestätigt werden konnte. Eine telefonische Kontaktaufnahme mit den Patientinnen zweieinhalb bzw. eineinhalb Jahre nach der Intervention ergab, dass zu diesem Zeitpunkt beide Frauen ihren üblichen Alltagstätigkeiten nachgehen konnten. Eine der Probandinnen bezeichnete die Stuhltransplantation sogar als einen der wichtigsten Meilensteine ihrer Behandlung.
Die Basler Forschungsgruppe hält deshalb weitere groß angelegte kontrollierte klinische Studien für erforderlich: „Sie könnten unser Wissen erheblich verbessern und schließlich dazu führen, dass die kontrollierte und spezifische FMT in die klinische Praxis umgesetzt wird, um schließlich das Wohlbefinden depressiver Menschen zu verbessern.”

 

Weitere Forschung erforderlich

Die Frage, über welche Mechanismen die Verständigung zwischen dem Magen-Darm-Trakt und dem Gehirn genau funktioniert, ist bis jetzt nicht eindeutig geklärt, betonen die Basler Wissenschaftler in einem Übersichtsartikel (Schneider E et al, Darm und Depression, Psychiatrie + Neurologie 1/2021, 16-20). „Neben den Hormonen und Neurotransmittern, die sowohl im Darm als auch im Gehirn produziert werden, spielen vor allem der Vagusnerv, das Immunsystem, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (hypothalamic-pituitary-adrenal axis, HPA-Achse) sowie kurzkettige Fettsäuren (short chain fatty acids, SCFA) eine wesentliche Rolle in der Darm-Hirn-Kommunikation.” Sie unterstreichen, dass intensive weitere Forschung notwendig sei, um die bakteriellen Veränderungen bei depressiven Patienten besser zu verstehen und gezielte mikrobielle Therapien entwickeln und testen zu können.

Lajos Schöne

PK 2/2022