Naturräumen, insbesondere urbanen Grünräumen und Gewässern, wird seit langem ein bedeutendes gesundheitsschützendes Potenzial beigemessen. Sie wirken sich in vielfältiger Weise positiv auf das Wohlbefinden von Menschen aus. Gärten und Parks entfalten vor allem eine schützende Wirkung auf die Psyche und zeigen offenbar auch einen günstigen Einfluss auf demenzielle Erkrankungen, die sich aufgrund des demographischen Wandels in vielen Industrieländern zu einem der größten Gesundheitsprobleme entwickelt haben. Eine aktuelle Studie kommt jedenfalls zu positiven Schlüssen.
Die heilende Wirkung von Grünflächen war schon den Ärzten im alten Ägypten bekannt. Sie verordneten ihren Patienten Spaziergänge im Freien zur schnelleren Genesung. Die Sinnhaftigkeit ihres Handelns wird heute durch wissenschaftliche Studien bestätigt, wie einige Beispiele aus den letzten dreißig Jahren zeigen. So stellte der Gesundheitswissenschaftler Roger S. Ulrich (Texas) bereits 1984 bei der Beobachtung von Patienten nach einer Gallenblasenoperation fest: Patienten, die nach dem Eingriff aus ihrem Krankenhausfenster ins Grüne schauen konnten, benötigten weniger Schmerzmittel und wurden aufgrund einer besseren Wundheilung frühzeitiger nach Hause entlassen als Patienten, aus deren Fenster lediglich eine Backsteinwand zu sehen war (Ulrich RS, View through a window may influence recovery from surgery. Science 1984; 224: 42–421).
Naturräumen, wie beispielsweise Waldlandschaften, wird schon seit langem ein entspannender und erholsamer Einfluss auf das psychische und physische Befinden beigemessen.
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Die niederländische Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Agnes van den Berg an der Universität Wageningen beobachtete, dass bei einem hohen Anteil an Grünflächen um den Wohnsitz schwerwiegende Lebensereignisse als weniger belastend empfunden werden und das psychische Befinden als besser eingeschätzt wird (van den Berg AE et al., Green space as a buffer between stressful life events and health, Soc Sci Med 2010; 70 (8): 1203–1210).
Spiel und Bewegung im Freien führen bei Kindern zu einer Verbesserung von motorischen, sprachlichen wie auch mathematischen Fertigkeiten und fördern Konzentration und Leistungsfähigkeit, ermittelten norwegische Wissenschaftler (Fjortoft I, The Natural Environment as a Playground for Children: The Impact of Outdoor Play Activities in Pre-Primary School Children, Early Childhood Educ J 2001; 29 (2): 111–117)
Erste positive Effekte zeigen sich schon nach kurzer Aufenthaltsdauer im Grünen. So belegen mehrere Untersuchungen bereits nach einer Aufenthaltsdauer von fünf bis zwanzig Minuten in einer Waldlandschaft positive Wirkungen auf physiologische und psychologische Parameter (Beil & Hanes, 2013; Matsunaga, Park et al., 2011; Park et al., 2007; Park et al., 2009).
Eine Metaanalyse von zehn Studien mit den Daten von insgesamt 1.252 Teilnehmern ergab vor allem zu Beginn eines Aufenthaltes in grünen Landschaften starke Effekte hinsichtlich der mentalen Erholung. Die Aktivitäten der Probanden umfassten Wandern, Gartenarbeiten, Radfahren, Fischen, Bootfahren und Reiten und fanden in Stadtparks, in unberührter Natur oder in landwirtschaftlich genutzten Gebieten statt. Ein deutlicher Effekt zeigte sich schon nach fünf Minuten aktivem Aufenthalt im Grünen (Barton J., Pretty J. (2010), What is the best dose of nature and green exercise for improving Mental Health? A Multi-Study analysis, Environmental Science & Technology, 44 (10), 3947–3955. doi:10.1021/es903183r).
Günstige Wirkung bei psychischen Störungen
Schon der Aufenthalt an der frischen Luft hebt die Laune und hat sogar auf psychische Störungen positive Effekte. Einen besonders eindrucksvollen Beweis dafür erbrachte eine Studie kanadischer Psychologen (Nisbet E et al. (2011), Underestimating nearby nature: Affective forecasting errors obscure the happy path to sustainabilit, Psychological Science, 22, 1101–1106).
Die Autoren von der Carleton-Universität in Ottawa teilten 150 Studenten nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein und ließen sie durch das Universitätsgelände laufen. Eine Gruppe durfte einen Weg unter freiem Himmel entlang gehen, die zweite Gruppe lief durch die Kellergänge der Uni zum selben Ziel. Für beide Wege wurden 17 Minuten benötigt, es regnete nicht und es herrschten herbstliche Temperaturen.
Wie nicht anders zu erwarten, waren diejenigen, die an der frischen Luft laufen durften, am Ende deutlich entspannter und besserer Stimmung als die Gruppe, die durch die Gänge gehen musste.
Die unter freiem Himmel entstandenen positiven Reaktionen begünstigten außerdem das Gefühl der persönlichen Verbundenheit mit der Natur.
Die entspannende Wirkung von Grünflächen wurde in Studien bereits mehrfach bestätigt. Je kürzer die Entfernung von zu Hause zur nächsten grünen Umgebung ist, desto weniger das Stressempfinden und desto höher die wahrgenommene seelische Gesundheit. Auch Ängste und Depressionen treten seltener auf.
Eine aktuelle australische Längsschnittstudie von Forschern um Professor Thomas Astell-Burt von der Universität Wollongong ergänzt nun das bereits vorhandene umfangreiche Wissen über die Wirkung von natürlichen Umweltbedingungen auf die psychische Gesundheit der Bewohner von Stadt und Land (Astell-Burt T et al., Urban green space, tree canopy and 11-year risk of dementia in a cohort of 109.688 Australians, Environment Int. 145 (2020) 106102). Die Wissenschaftler überprüften, ob und inwieweit der Aufenthalt in grüner Umgebung auch das Risiko für die Entwicklung einer Demenz verringern kann.
Wirken Wiesen anders als ein Wald?
Für die Untersuchung wurden 109.688 Probanden rekrutiert. Die Teilnehmer waren 45 Jahre oder älter, frei von demenziellen Symptomen und lebten in den Städten Sidney, Wollongong und Newcastle. Erfasst wurden Alter, Geschlecht, Bildungsstatus, Familienstand, Beschäftigungsstatus und Haushaltseinkommen.
Als Grundlage der Beurteilung galt der prozentuale Anteil der gesamten Grünfläche, von Baumbewuchs und von offenen Grasflächen im Umkreis von 1,6 Kilometer rund um die Wohnungen der Probanden.
Primäres Ziel der Untersuchung war es, zu überprüfen, inwieweit für Menschen, die Zugang zu mehr Grünflächen haben, ein geringeres Alzheimer-Risiko besteht,
und ob ein Zusammenhang mit der unterschiedlichen Art von Grünflächen (zum Beispiel Baumbewuchs oder offene Grasflächen) eine Rolle spielt.
Die Beobachtungszeit erstreckte sich auf elf Jahre. Endpunkte waren
- der Zeitpunkt der ersten Verordnung eines von vier Antidementiva aus der
Gruppe der Cholesterinasehemmer;
- eine während eines Krankenhausaufenthaltes diagnostizierte Demenz;
- eine beim Tod des Probanden bestehende Demenz.
Der Gesamtanteil der im Verlauf der elf Studienjahre festgestellten Demenzen (N: 4475) betrug 4,1 Prozent. Die Erkennung von Demenz variierte je nach Fallerfassungsmethode: 1,6 Prozent (N: 1703) wurden bei der ersten Verordnung eines Antidementivums, 3,3 Prozent (N: 3636) bei der Hospitalisation oder beim Tod erfasst.
Der Effekt eines Aufenthalts im Grünen auf das psychische Wohlbefinden setzt schon nach wenigen Minuten ein.
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Mehrere Faktoren wirken protektiv
Die in ihrer Art erste Längsschnittanalyse lieferte allerdings nur in wenigen Punkten eindeutige Ergebnisse:
- Die Demenzhäufigkeit war durchweg niedriger bei Männern, jüngeren Teilnehmern, in Paaren lebenden Personen sowie bei Probanden mit höherer Bildung und höherem Einkommen.
- Die Demenzinzidenz variierte je nach Ermittlungsmethode des Endpunkts und nach den untersuchten Grünflächenvariablen. So fanden sich keine Hinweise auf eine Verringerung des Demenzrisikos bei Teilnehmern, die in Gebieten mit mehr offenen Grünflächen lebten.
- Das Demenzrisiko war jedoch bei den Teilnehmern, deren Demenz anhand von routinemäßig erfassten Krankenhauseinweisungen und Sterbefällen festgestellt wurde, umso geringer, je mehr Bäume im Umkreis von 1,6 km standen.
Die Autoren gehen davon aus, dass den Patienten, die in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten leben, seltener Antidementiva verordnet werden und dadurch Verzerrungen der Ergebnisse entstanden sein könnten. Weitere Arbeiten sollten deshalb auch zusätzliche Variablen berücksichtigen, wie z. B. die Luft- und Lärmbelastung.
Professor Thomas Astell-Burt und seine Kollegen sind jedoch überzeugt: „Ein größerer Baumbestand in Städten kann dazu beitragen, das Risiko einer Demenzerkrankung zu verringern“.
Vielfältige positive Effekte auf die Gesundheit
Als Grünräume werden alle unbebauten städtischen Flächen bezeichnet, die zum überwiegenden Teil unversiegelt und durch Vegetation geprägt sind. Hierzu zählen sehr verschiedene Flächen wie etwa Parks, Stadtwälder, Flussauen, Kleingärten, Brachen, Spiel- und Sportplätze oder Friedhöfe.
Der Aufenthalt in Grünräumen oder bereits ihre Betrachtung steigert das psychische Wohlbefinden, wirkt stressreduzierend, entspannend und beruhigend und fördert auch das spirituelle Erleben.
Dies kann sich positiv auf die kognitive und emotionale Entwicklung auswirken und verbessert Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitsleistung. Das Betrachten von „Grün“ reduziert zudem Herzschlag und Blutdruck. Der Aufenthalt im Wald erhöht wiederum die Immunabwehr. Auch scheint Sport im Grünen die körperliche Erholung stärker zu begünstigen als Sport in geschlossenen Räumen oder in grauer Umgebung.
Leider schwindet das Grün um uns herum immer schneller: Laut Statistischem Landesamt Stuttgart werden allein in Baden-Württemberg jeden Tag Freiflächen in der Größe von rund sieben Fußballfeldern zu Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt (Pressemitteilung 232/2020).
Lajos Schöne
PK 5/2021