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  • Kommentare deaktiviert für Hypertonie: Stress im Job ist ein Risikofaktor

Sinnstiftende Arbeit geht in vielen Berufen mit Anerkennung, sozialem Ansehen und Prestige einher. Berufsarbeit kann aber auch Ursache von Belastungen, Stress und gesundheitlichen Beeinträchtigungen sein. Als besonders problematisch gilt dabei der Bluthochdruck, der mit rund 25 Millionen Betroffenen den häufigsten gesundheitlichen Risikofaktor in Deutschland darstellt.

Wenn bei der Arbeit der Blutdruck vorübergehend steigt, so ist das in der Regel eine normale physiologische Reaktion des Körpers auf die Belastung, sagt Prof. Dr. Gerd Bönner von der Deutschen Hypertonie Akademie in Freiburg (Bönner G.: „Diese Berufe triggern eine Hypertonie“, MMW Fortschritte der Medizin 2019, 17/161).

Krankmachende Arbeitsbedingungen lassen sich drei großen Bereichen zuordnen:

  • Physische Arbeitsbelastungen (z. B. Heben schwerer Lasten, ungünstige Körperhaltung, einseitige Beanspruchung einzelner Körperpartien, Arbeitserschwernis durch eine belastende Arbeitsumgebung, z. B. Hitze, Kälte oder Staub);
  • Belastungen durch Arbeitszeiten (Schicht- und Nachtarbeit, unregelmäßige Arbeitszeit, Mehrarbeit, vor allem Überstunden);
  • psychosoziale (mentale, emotionale) Arbeitsbelastungen (z. B. Zeitdruck), hohe Anforderungen, Konflikte mit Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kunden, Störungen des Arbeitsablaufs, Enttäuschungen und Sorgen, z. B. ungerechte Bezahlung, fehlende Anerkennung, Angst vor Arbeitsplatzverlust.

Durch einige Arbeitsbedingungen wird vor allem der Blutdruck langfristig ungünstig beeinflusst oder gar eine Hypertonie induziert. Beispielsweise bei Schichtarbeitsmodellen, in denen auch eine Nachtschicht vorkommt, kann es durch die häufigen Umstellungsphasen im Schichtwechsel zu vegetativer Belastung, Überforderungen und psychischen Veränderungen bis hin zu Depressionen kommen. Ebenso wird Lärm oft als Überforderung empfunden und kann zu starken vegetativen Belastungen und zu einer anhaltenden Sympathikotonie führen. Als Folge drohen Hypertonie, Tachykardie oder auch Fettstoffwechselstörungen. Diese Veränderungen sind letztlich kausale Risikofaktoren für das vermehrte Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei lärmexponierten Personen.

Rivalität und Mobbing belasten die Psyche

Aber auch psychische Belastungen können den Blutdruck erhöhen. Zu diesen Belastungen gehören

  • starker Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck,
  • soziale Isolierung,
  • Mobbing und
  • Bedrohung durch Arbeitsplatzverlust sowie
  • Missverhältnis zwischen Arbeitsanforderung und Kontrollmöglichkeiten.

Das zuletzt genannte Anforderungs-Kontroll-Modell wird im internationalen Sprachgebrauch als „job strain“ bezeichnet. Dabei gilt eine hohe Anforderungsdichte mit permanentem Zeitdruck als Stressor und Kontrollmöglichkeiten wie Zeit- und Handlungsspielräume oder Lerngelegenheiten als entlastende Ressourcen.

Sind die Anforderungen hoch und die Kontrollmöglichkeiten gering, entsteht Stress. Diese Konstellation findet sich häufig bei Beschäftigten mit gering qualifizierter Industriearbeit, etwa Fließbandarbeit in hohem Tempo, oder auch bei einfachen, stark repetitiven Bürotätigkeiten.

Fehlende Wertschätzung begünstigt Krankheiten

Dieses Modell beruflicher Gratifikationskrisen wurde vom Schweizer Medizinsoziologen Prof. Dr. Johannes Siegrist an der Universität Düsseldorf entwickelt. Gratifikationen sind dabei nicht nur als finanzielle Belohnung definiert, sondern schließen auch Fortbildung, Arbeitsplatzsicherheit und anerkennendes Feedback ein. Es geht also nicht allein um Geld und sozialen Status, mindestens ebenso bedeutsam ist die Wertschätzung und Anerkennung der geleisteten Arbeit. Im Zentrum steht das im Arbeitsvertrag festgelegte Verhältnis von Leistung und Belohnung im Sinne einer Tauschgerechtigkeit (Siegrist J. et al. (2007):

„Rente mit 67“, Arbeitspapier No. 147). Wird hohe Verausgabung kontinuierlich nicht durch angemessene Belohnung ausbalanciert, kommt es zur Gratifikationskrise. Diese kann als dramatisches Lebensereignis auftreten, z. B. wenn eine lang erwartete Beförderung ausbleibt, oder – was häufiger vorkommt – als wiederkehrende Enttäuschung erwarteter Belohnungen, zum Beispiel in Form eines Mangels an Wahrnehmung und Anerkennung von Leistungen.

„Dauerstress im Job erhöht das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Besonders die Kombination aus viel Arbeit und wenig Belohnung bringt den Körper aus dem Gleichgewicht“, so Johannes Siegrist. „Mehrere Studien haben gezeigt, dass Beschäftigte, die diesen Formen von beruflichem Dauerstress aus-gesetzt sind, innerhalb von fünf Jahren doppelt so häufig von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen sind wie beruflich nicht belastete“ (Johannes Siegrist “Stress im Job“, Deutsche Hochdruckliga).

Hypertonie kann den Arbeitsplatz gefährden

Unter bestimmten Umständen kann eine arterielle Hypertonie eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bedeuten, für einzelne Berufe sogar eine Berufsunfähigkeit. Als kritisch gelten:

  • Berufe mit Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeit (Kraftfahrzeuge, Kran, Eisenbahn, Flugzeuge, Schaltzentralen)
  • Arbeiten am Gerüst, auf Leitern, in der Höhe (Absturzgefahr),
  • Arbeiten an laufenden Maschinen, elektrischen Anlagen oder in Lärmzonen,
  • Arbeiten am Hochofen, am offenen Feuer und in großer Hitze oder Kälte und bei großen klimatischen Schwankungen sowie
  • Arbeiten im 24 Stunden-Schichtdienst

Auch Beamte müssen bestimmte gesundheitliche Voraussetzungen erfüllen. Eine Hypertonie kann dazu führen, dass diese Voraussetzungen fehlen und der Kandidat als Beamter abgelehnt wird. Beim Polizeidienst wird zwischen Dienstfähigkeit und Diensttauglichkeit unterschieden. Bei der Einstellung ist die Polizeidiensttauglichkeit wichtiger als die aktuelle Dienstfähigkeit. Im Polizeiberuf besteht eine höhere Gefährdung durch 24-Stunden-Bereitschaften, Notfalleinsätze, auch über Tage, externe Gewalt und Waffeneinsatz sowie psychische Belastungen. Bei bestehender Hypertonie kann es deshalb zu Blutdruckspitzen und Komplikationen kommen. Eine medikamentös behandelte Hypertonie bedingt deshalb generell eine Polizeidienstuntauglichkeit.

Lange Arbeitszeiten beeinträchtigen die Erholung

Auch eine ausreichende Erholung von der Arbeit ist unabdingbar, um beeinträchtigende Folgen der Arbeitsbelastung abzubauen, betont eine Arbeitsgruppe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Berlin (Schulz A. D. et al.: „Erholungsbeeinträchtigungen bei Beschäftigten“, Zbl. Arbeitsmed. online 19. Sept. 2019). Es gelinge jedoch nicht allen Personen, sich ausreichend zu erholen – eine Folge von hohen Arbeitsanforderungen und „job strain“.

Arbeitswissenschaftlerin Anika D. Schulz und ihre Kollegen haben repräsentative Daten von 4.201 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass 13 Prozent der Befragten in ihrer Erholung beeinträchtigt sind. Die Erholungsschwierigkeiten reichen von anhaltender mentaler und kardiovaskulärer Aktivierung nach Arbeitsende über Probleme beim gedanklichen Abschalten am Feierabend, bis hin zu gestörtem Nachtschlaf. Bei länger bestehenden Erholungsproblemen drohen chronische körperliche und mentale Beeinträchtigungen der Gesundheit.

Die Erhebung der BAuA ergab: Personen mit einer hohen Anzahl an Wochenarbeitsstunden, ungeregelten Arbeitszeiten und/oder befristeten Verträgen sind anteilig am meisten von sehr auffälligen Erholungsproblemen betroffen. So leiden z. B. von den Beschäftigten mit einer Arbeitszeit unter 20 Stunden pro Woche lediglich vier Prozent unter auffälligen Erholungsbeeinträchtigungen. Betrachtet man hingegen diejenigen mit den längsten Arbeitszeiten von 48 Arbeitsstunden und mehr pro Woche, so finden sich in dieser Gruppe mit insgesamt 27 Prozent anteilig die meisten Personen mit Erholungsproblemen.

Führungskräfte sind mit 28 Prozent anteilig am meisten von Erholungsproblemen betroffen. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem Geschäftsführer, leitende Verwaltungsbedienstete sowie Führungskräfte im kaufmännischen und Dienstleistungsbereich sowie in der Produktion und im Handel. Auch Berufsgruppen mit starkem Kunden-, Klienten- oder Patientenkontakt leiden eher unter mangelnder Erholungsfähigkeit. Zum Beispiel liegen 12 Prozent der befragten Lehrkräfte im Bereich der auffälligen und weitere 11 Prozent im Feld der sehr auffälligen Erholungsunfähigkeit.

Ausreichende Erholung gewinnt auch vor dem Hintergrund immer flexibler gestalteter Arbeit und verschwimmender Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung, betonen die Berliner Arbeitswissenschaftler. Die modernen Kommunikationstechnologien machen Arbeit auch außerhalb des eigentlichen Arbeitsorts (z. B. im Homeoffice) und auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit überhaupt erst möglich und beeinträchtigen so die Erholungsfähigkeit.

 

Lajos Schöne

PK 1/2020