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Mit einer Kaufkraft von 5,8 Milliarden Euro sind Kinder und Jugendliche für die Lebensmittelindustrie eine besonders attraktive Zielgruppe als Konsumenten. Aktuelle Studien zeigen, dass ausgerechnet ungesunde Lebensmittel für Kinder immer stärker und raffinierter beworben werden. Verbraucherschützer, Krankenkassen und Organisationen von Kinder- und Jugendärzten fordern deshalb ein Verbot der an Kinder gerichteten Werbung in Fernsehen, Netz und sozialen Medien.

Ein an Kinder vermarktetes Produkt ist nach einer Aufstellung des Forschungsinstituts für Kinderernährung an verschiedenen Merkmalen zu erkennen (Düren M. et al., Das Angebot an Kinderlebensmitteln in Deutschland, Ernährungs-Umschau 2003; 50: 16-21):

  • Aufschrift „für Kinder“ oder „Kids“,
  • auffällige Gestaltung der Verpackung, zum Beispiel Comicfiguren,
  • spezielle Formung, zum Beispiel als Tier- oder Comicfigur,
  • Beigaben wie Aufkleber, Sammelbilder oder Spielfiguren,
  • speziell an Kinder gerichtete Werbung oder entsprechende Internetauftritte der Hersteller.

 

Ungesunde Lebensmittel werden besonders oft beworben

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Hamburger Wirtschaftswissenschaftlers PD Dr. Tobias Effertz sieht ein Kind in Deutschland pro Tag durchschnittlich 15,48 Werbespots oder -anzeigen für ungesunde Lebensmittel (Effert T., Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Internet und TV, Projektbericht Universität Hamburg, März 2021). Davon entfallen 5,14 auf das Internet und 10,34 auf das Fernsehen. 92 Prozent der Spots für Lebensmittel, die Kinder im Internet und TV wahrnehmen, bewerben ungesunde Produkte wie Fastfood, Snacks oder Süßigkeiten (Fernsehen 89 Prozent, Internet 98 Prozent). Die Langfassung der Studie findet sich im Internet unter https://www.bwl.uni-hamburg.de/irdw/forschung.html.

70 Prozent der untersuchten Lebensmittel-Werbespots im Fernsehen richten sich durch ihre Aufmachung oder Sendeumfeld speziell an Kinder. „Die Unternehmen haben den Werbedruck auf Kinder bewusst erhöht“, kritisiert Dr. med. Sigrid Peter, Kinderärztin in Berlin und stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVJK). „Die schädlichen gesundheitlichen Folgen davon sehen wir täglich in unseren Praxen. Wir müssen endlich die Ursachen angehen für Übergewicht bei Kindern – und Werbung ist dabei ein wichtiger Faktor.“

 

Meinungsmacher erreichen Millionen von Kindern

„Ein Phänomen, das in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen hat, ist dabei das Influencer-Marketing. Etabliert hat es sich vor allem in und durch die sozialen Medien“, berichtet die Hochschule Worms in einer Pressemitteilung vom 17.03.2021. „Influencer-Marketing, auch Multiplikatoren-Marketing genannt, ist eine Disziplin des Online-Marketings, bei der Unternehmen gezielt Meinungsmacher (Influencer) und damit Personen mit Ansehen, Einfluss und Reichweite in ihre Markenkommunikation einbinden“.

Der Löwenanteil der Werbeausgaben fließt derzeit zwar noch in TV- und Printwerbung, der Onlinebereich gewinnt allerdings zunehmend an Bedeutung, betont die Verbraucherorganisation Foodwatch in ihrem jüngst veröffentlichten „Junkfluencer Report 2021“: Prognosen gehen davon aus, dass sich das Influencer-Marketing in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einem Milliardenmarkt entwickelt.

Umfangreiche Ermittlungen von Foodwatch haben ergeben, dass internationale Lebensmittelkonzerne wie CocaCola, McDonald‘s und Mondelez sowie auch deutsche Familienunternehmen wie Coppenrath & Wiese oder Haribo mit Influencern kooperieren, um in den sozialen Medien, auf Youtube, Tiktok oder Instagram ihre Süßigkeiten, Softdrinks, Fertigprodukte oder Fastfood zu propagieren. Diese jungen Superstars des Internets heißen z. B. Viki & Sarina, Simon Desue oder Julia Beautx. Sie erreichen Millionen von Kindern und Jugendlichen und torpedieren mit ihren „Postings“ die Bemühungen vieler Eltern, ihre Kinder für gesundes Essen zu motivieren. Die gesponsorten Werbebotschaften fallen auf fruchtbaren Boden: Influencer genießen bei ihren „Followern“ hohe Glaubwürdigkeit und können deren Produktentscheidungen stark beeinflussen.

 

Auswirkungen auf die Kindergesundheit

Eine Vielzahl ungesunder Lebensmittel wird gezielt an Kinder gerichtet beworben, darunter vor allem Süßigkeiten, Fastfood und Süßgetränke. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Kindergesundheit.

Bildnachweis: AdobeStock_133781443_Syda Productions

 

Rosa Glitzertorte mit Hunden und Pferden

Foodwatch schildert ein typisches Beispiel: „Die blauhaarige Influencerin Viktoria schmeißt für ihre beste Freundin Sarina eine Überraschungsparty – und dokumentiert das für ihre 1,5 Millionen Fans auf der Video-Plattform. Zentrales Element neben Blumen und Luftballons: Die mit den Fotos der beiden Freundinnen versehene ‚Spring in eine Pfütze‘-Torte von Coppenrath & Wiese, die die ‚überraschte Freundin genüsslich verspeist. Das YouTube-Video wurde über eine halbe Million Mal angesehen und erhielt bereits 110.000 ‚Gefällt mir‘-Klicks“.

Die beiden Influencerinnen sind Idole für junge Mädchen, präsentieren sich in einer rosa Glitzerwelt mit Hunden und Pferden, vertreiben Schulhefte und Bastelbücher. Zwischen Stylingtipps kommt immer wieder Werbung für ungesundes Essen – unter anderem für Coca-Cola, McDonald’s und eben Coppenrath & Wiese, einen in Osnabrück ansässigen Hersteller von tiefgekühlten Backwaren mit einem Gesamtumsatz von 440 Millionen Euro im Jahr 2020.

Neben der großen Reichweite hat das Influencer-Marketing eine Reihe weiterer Vorteile, insbesondere gegenüber der bislang dominierenden TV-Werbung: Influencer-Marketing ist im Vergleich zu aufwändig produzierten TV-Spots deutlich günstiger und die gewünschte Zielgruppe lässt sich viel genauer adressieren.

Bringt ein Hersteller beispielsweise eine rosafarbene Glitzertorte mit Pferdemotiv auf den Markt, erreicht dieser über TVSpots im Kinderfernsehen womöglich mehrere Millionen Zuschauer, die aber nur zu einem Bruchteil an diesem Produkt interessiert sind. Eine Kooperation mit einer Influencerin, die bei 8- bis 14-jährigen Pferdeliebhaberinnen beliebt ist, kann indes deutlich preiswerter und zugleich mindestens genauso effektiv sein.

 

YouTube hat das TV-Programm längst abgehängt

So haben auf Kinder spezialisierte Marktforscher bei der jährlichen Befragung von 362.100 Kindern festgestellt: 40 Prozent der deutschen Kinder sehen sich soziale Online-Videos lieber an als das Fernsehprogramm. Dabei sind sie von den Eltern oft unbeobachtet und nutzen das Medium länger. 60 Prozent der Kinder in Deutschland besitzen ein eigenes Handy, daher ist es nicht überraschend, dass sie mehr Zeit auf digitalen Kanälen und weniger im traditionellen Fernsehen verbringen. Deutsche Kinder im Alter von drei bis 16 Jahren verbringen durchschnittlich drei Stunden pro Tag mit dem Konsum digitaler Inhalte (The Insight’s People Kids Data Portal).

Nicht zuletzt liegt die Stärke des Influencer-Marketings in der enormen Glaubwürdigkeit der Online-Stars. Die Strahlkraft, die Influencer für Kinder und Jugendliche haben, ist für Erwachsene wohl kaum noch nachzuvollziehen. So kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass sich in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigte 11bis 15-Jährige ihren Online-Stars „bedingungslos hingeben“ und deren Aussagen „vollstes Vertrauen“ entgegenbringen (https://www.iab-switzerland.ch/wpcontent/uploads/2018/10/Opinia-Influencer-3.0.pdf).

 

Selbstverpflichtung – nur ein Ablenkungsmanöver?

Dabei haben sich die weltweit führenden Lebensmittelunternehmen bereits 2007 im Rahmen einer Initiative der Europäischen Union freiwillig dazu verpflichtet, ihr Marketing verantwortungsvoller zu gestalten. In dem sogenannten „EU Pledge“ haben sie zugesichert, die Regeln für an Kinder gerichtetes Marketing einzuhalten. So sollen beispielsweise nur noch Lebensmittel, die bestimmte Ernährungskriterien erfüllen, für Kinder unter zwölf Jahren in TV, Print und Internet beworben werden.

Diese Selbstverpflichtung erwies sich jedoch als völlig unzureichend, stellt die Stiftung Kindergesundheit fest. Nach einer in Deutschland durchgeführten Untersuchung (Effertz 2017) werden Produkte von EU-Pledge-Mitgliedern sogar häufiger mit Kindermarketing beworben als von Nichtmitgliedern.

Zum Schutz der kindlichen Gesundheit fordert die Stiftung Kindergesundheit deshalb in Übereinstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den kinderärztlichen Organisationen eine strikte Begrenzung der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel. Andere Länder wie z.B. Norwegen, Schweden, Chile oder Südkorea haben mit solchen Maßnahmen bereits Erfolge erzielt: Dort ist der Konsum von Junkfood im Zeitraum von 2002 bis 2016 um 8,9 Prozent gesunken, während er in Ländern ohne solche Beschränkungen im gleichen Zeitraum um 13,9 Prozent gestiegen ist.

 

Lajos Schöne

 

PK 3/2021