Zuviel Körperhygiene kann bei Kindern das Allergierisiko erhöhen. Darauf weisen epidemiologische Daten und Querschnittsuntersuchungen hin. Sie stützen damit die sogenannte Bauernhofhypothese, der zufolge Kinder, die auf dem Bauernhof oder in engem Kontakt zu Tieren aufgewachsen sind, seltener allergische Erkrankungen entwickeln als Kinder, die in urbaner Umgebung und ohne Haustiere groß geworden sind.
Seit Beginn der 1990er-Jahre wird intensiv nach Schutzfaktoren geforscht, die das Entstehen von Allergien verhindern können. Dabei hat sich herausgestellt, dass bestimmte Gruppen von Menschen vor allergischen Erkrankungen, insbesondere am Respirationstrakt, geschützt sind.
Laut „Weißbuch Allergie in Deutschland“ (SpringerMedizin 2018) wurden bisher folgende Schutzfaktoren identifiziert:
- Aufwachsen auf einem traditionellen Bauernhof;
- anthroposophische Lebensweise;
- frühzeitige Unterbringung in Kindertagesstätten;
- Aufwachsen in der früheren DDR.
Aus diesen Konzepten entstand die Hygiene- oder Bauernhofhypothese, wonach die geringere Exposition gegenüber Bakterien in der frühen Kindheit eine veränderte postnatale Entwicklung des Immunsystems mit einer nicht optimal regulierten Immunantwort bewirkt. Für die allergische Rhinitis und Asthma konnte nachgewiesen werden, dass der Kontakt der Mutter während der Schwangerschaft und des Kindes
in seinem ersten Lebensjahr zu Stalltieren zu einer Risikoverminderung führt (Riedler J. et al (2001) „Exposure to farming in early life and development of asthma and allergy: a cross-sectional survey“, Lancet 358: 1129–1133).
Eine Forschergruppe um den Epidemiologen Prof. Dr. Joachim Heinrich am Helmholtz Zentrum München überprüfte jetzt die Hygienehypothese anhand der Daten von zwei deutschen Geburtskohorten (Bowatte G. et al.: „Hygienic behavior and allergic sensitization in German adolescents“ Allergy. 2018 Sep;73 (9): 1915–1918. doi: 10.1111/all.13492). Die Wissenschaftler untersuchten die Daten von 2755 Heranwachsenden, die an den Bevölkerungsstudien GINIplus und LISA teilgenommen hatten.
Die Teilnehmer waren zu Studienbeginn im Säuglingsalter und nach 15 Jahren erneut auf das Auftreten von Allergien untersucht worden. Die Autoren ermittelten, wie häufig die Probanden badeten oder duschten und ob sie Gesichts- oder Körperlotionen verwendeten. Diese Daten setzten sie in Beziehung mit dem Auftreten von allergiespezifischen IgE-Antikörpern gegen 14 ausgewählte Allergene im Blut der Jugendlichen.
Die Mehrheit der Teilnehmer (52,0 Pro-zent) lebte im Münchner Raum. Drei Prozent gaben an, nur selten (einmal pro Woche oder seltener) Bäder / Duschen genutzt zu haben, 26 Prozent verwendeten keine Gesichtscreme und 35,2 Prozent verwendeten keine Körpercreme. Die Prävalenz der derzeitigen Sensibilisierung gegen Atemwegs – und Nahrungsmittelallergene betrug 45,7 Prozent bzw. 10,9 Prozent. Von den 15-jährigen Teilnehmern berichteten 13,9 Prozent über eine aktuelle Allergie.
Übertriebene Körperhygiene kann das Risiko erhöhen, Überempfindlichkeitsreaktionen zu entwickeln.
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Besser nur einmal pro Woche unter die Dusche
In der Analyse zeigte sich, dass Jugendliche ohne aktuelle allergische Erkrankungen, die lediglich einmal pro Woche duschten oder badeten, signifikant seltener gegen Allergene sensibilisiert waren. Allerdings ergab sich dieser Zusammenhang nur für Allergene aus der Luft, für Lebensmittelallergene war er nicht signifikant. Der Einsatz von Cremes hatte keine nachweisbaren Effekte auf allergische Sensibilisierungen der Probanden.
Die Hygienehypothese geht davon aus, dass das Immunsystem durch Keime und Bakterien aus der Umwelt trainiert wird. Warum das seltenere Waschen und Duschen vor Allergien schützt, erklären die Autoren mit der Tatsache, dass durch zu viel Hygiene die gesunde Hautbarriere geschwächt wird. Häufiges Baden oder Duschen beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrobioms der Haut und kann die Immunregulation verändern. So sind fast allen Pflegeprodukten antimikrobielle Substanzen wie Triclosan oder Parabene beigemischt. Von diesen ist bekannt, dass sie das Immunsystem im Hautgewebe beeinflussen können. Eine Erhöhung des pH-Wertes der Haut kann zu Verspannungen, Trockenheit, Irritationen und Juckreiz führen, die den Eintritt von Fremdstoffen aus der Umwelt in die Haut begünstigen.
Eine Erweiterung erfährt die Hygienehypothese durch die zurzeit viel diskutierte sogenannte „Biodiversitätshypothese“ (Renz H. et al.: „An exposome perspective: Early-life events and immune development in a changing world“, J. Allergy Clin. Immunol. 2017 Jul; 140 (1): 24-40. doi: 10.1016/j.jaci.2017.05.015).
Höhere Mikrobenlast reduziert Allergierisiko
Dieses Konzept des „Exposoms“ umfasst eine Vielzahl von Bio-Expositionen über Mikroben, Lebensmittel, Allergene, Pflanzen oder Tiere und stützt sich auf die Vielfalt und Vielschichtigkeit dieser Expositionen.
Zur Hygienehypothese passt auch die Beobachtung, dass Einzelkinder ein deutlich höheres Risiko für allergische Erkrankungen aufweisen als Kinder, die aus einer kinderreichen Familie stammen. Dabei scheint insbesondere die Anzahl älterer Geschwister von Bedeutung zu sein. Man weiß heute: Säuglinge, die schon in den ersten zwölf Monaten ihres Lebens häufig mit anderen Kindern zusammenkommen, sind besser vor Allergien geschützt als isoliert aufwachsende Kinder. Der frühe Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung scheint das Immunsystem der Kinder im Sinne einer Abhärtung zu trainieren.
In der früheren DDR, wo die Krippenbetreuung üblich war, gab es deutlich weniger Allergien als im Westen. Je früher der Kontakt zu anderen Kindern, umso besser die Schulung der Allergieabwehr: Sächsische Babys, die bereits mit einem halben Jahr eine Krippe besuchten, erkrankten später nur halb so häufig an einer Allergie wie Kinder, die erst mit einem Jahr in die Krippe kamen.
Lajos Schöne
PK 2/2020