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Phytopharmaka haben in der Selbstmedikation einen festen Platz mit einem Marktanteil von 15 Prozent mengenmäßig und 14 Prozent wertmäßig. Für Innovationen existieren allerdings relativ hohe Hürden, wie beim Phyto-Info-Tag des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) beklagt wurde, insbesondere der hohe regulatorische Aufwand, der für die durchweg mittelständischen Unternehmen schwer zu stemmen ist. Als ein wettbewerbsverzerrendes Ärgernis sehen die Unternehmen die sehr unterschiedlichen Anforderungen für Phytopharmaka einerseits und Nahrungsergänzungsmittel andererseits, die vom Endverbraucher in ihrer Relevanz meist nicht erkannt und gewürdigt werden.

 

Pflanzliche Arzneimittel werden von Patienten im Rahmen der Selbstmedikation als wirksam und vor allem als nebenwirkungsarm geschätzt. Auch das wirtschaftliche Potenzial des Gesamtsegments aller pflanzlichen Produkte, die der Gesundheit dienen – neben den pflanzlichen Arzneimitteln auch Medical Devices, Botanicals und Kosmetika mit pflanzlichen Bestandteilen – ist beachtlich: Der Absatz erreichte in der EU im zweiten Halbjahr 2019 und ersten Halbjahr 2020  1,933 Millionen Packungen im EU-Markt (minus ein Prozent zum gleichen Vorjahreszeitraum) und ein Umsatzvolumen von 6,538 Milliarden Euro (plus 2,8 Prozent). Die führenden Märkte sind Deutschland, gefolgt von Frankreich, Italien, Russland und Polen.

Trotz aller Schwierigkeit, so Dr. Bernd Roether, Leiter der Zulassung bei Bionorica SE auf dem Phyto-Info-Tag des BAH, gelingen auch immer wieder Innovationen: Beispielsweise Veregen ®, eine Salbe, die auf einem GrünteeExtrakt basiert, zur Behandlung von Feigwarzen; Episalvan, ein auf Betulin quantifizierter Extrakt zur Behandlung von Hautwunden und Sativex ®, ein auf THC/CBD standardisierter CannabisExtrakt zur Behandlung von Spastik bei Multipler Sklerose. Aber auch solche Innovationen garantierten nicht in jedem Fall wirtschaftlichen Erfolg.

Zu den Erfolgen der Produktentwicklung zählt Roether auch „Quasi-Innovationen wie Lasea®, ein auf Lavendelöl basierendes Medikament zur Behandlung von Unruhezuständen sowie Sinupret extract ®, eine Kombination zur Therapie der unkomplizierten Sinusitis, die inzwischen in 16 EU-Ländern zugelassen ist. Darüber hinaus gelten auch einige Phytopharmaka aus der traditionellen chinesischen Medizin als Quasi-Innovationen.

Gleichwohl sei die Zahl der Innovationen in den vergangenen zwölf Jahren überschaubar geblieben. Ursächlich dafür seien mehrere Faktoren:

 

  • Die Phyto-Pharmabranche in der EU ist durch mittelständische Unternehmen geprägt, die nur begrenzte Investitionsbudgets zur Verfügung haben, sich aber Entwicklungskosten zwischen 20 und 50 Millionen für die Entwicklung einer Innovation gegenüber sehen.
  • Sprunginnovationen müssen ein Vollzulassungsverfahren durchlaufen und erfordern in der Regel einen Paediatric Investigation Plan sowie Prüfungen gegen eine zweckmäßige Vergleichstherapie.
  • Die Schutzmöglichkeiten über Wirkstoffpatente sind eingeschränkt.
  • Auf der anderen Seite sind nach dem Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der Erstattung der GKV Preisregulierungen nicht vorgesehen, die Unternehmen haben entsprechend den Marktmöglichkeiten Autonomie.

 

Harmonisierungsprozess noch nicht abgeschlossen

 

Ein Blick auf den Stand der rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa zeigt: Der Harmonisierungsprozess in der EU ist für Phytopharmaka immer noch nicht abgeschlossen. Die Rolle als Referred Member State ist auf die Behörden weniger Länder, an der Spitze Deutschland, reduziert, unter Absatzgesichtspunkten wichtige Länder wie Polen fehlen. Von den insgesamt 162 derzeit vorliegenden Monographien werden nur 36 aktiv in den Zulassungsverfahren genutzt.

Eine große Herausforderung für manche Unternehmen werde die Umsetzung der 2017 beschlossenen EU-Medical Device-Regulation werden. Sie betrifft Unternehmen, die Medizinprodukte anbieten, deren physikalische Hauptwirkung durch arzneiliche Wirkung der stofflichen Komponente unterstützt wird. Werden arzneiliche Stoffe oder deren Metaboliten systemisch vom Körper aufgenommen, um ihre Zweckbestimmung zu erfüllen, so gelten sie als Medizinprodukte der Klasse III, deren Anforderungen ähnlich hoch seien wie bei einer Arzneimittelzulassung. Das werde den Markt nach einer Übergangsfrist für den Abverkauf bis Mai 2024 „massiv treffen“, so Roether. Andererseits: Eine Zulassung nach der europäischen Medical Device-Regulation verschafft den Zugang zum gesamten EU-Markt.

Ein wegen wettbewerbsverzerrender Wirkung nach wie vor existierendes und nicht gelöstes Ärgernis sind Nahrungsergänzungsmittel und Botanicals, die mit Hilfe von Gesundheitsaspekten vermarktet werden, für die die behaupteten Wirkungen aber nicht untersucht und nachgewiesen sind. Nach gegenwärtigem Stand sind 2075 verschiedene Health Claims in der EU für Nahrungsergänzungsmittel verwendbar. Damit spiele sich ein großer Teil des Geschäfts zunehmend fernab des Arzneimittelmarktes in deutlich weniger regulierten Bereichen ab. Das, so Roether, sei „nicht im Sinne der Patientensicherheit und des Vertrauens“. Auch im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel müssten lange geplante Regulierungen umgesetzt werden.

Sein Fazit zum gegenwärtigen Stand der Innovationsfähigkeit der PhytoPharmabranche:

 

  • Neuentwicklungen sind aufgrund der für mittelständische Unternehmen hohen Kosten nur begrenzt möglich.
  • Echte Innovationen müssen ein Health Technology Assessment durchlaufen und oft auch ihre Wirksamkeit und Sicherheit für Kinder nachweisen.
  • Eine Vermarktung sei nur in der Selbstmedikation möglich, weil die Rx-Vertriebsstrukturen ab Mitte der 2000er Jahre abgebaut worden sind.
  • Wünschenswert wäre eine stärkere staatliche Förderung der Pharmakognosie, der Arzneipflanzenforschung und der Anwendung der Phytotherapie in der Schulmedizin.

 

Im Interesse des Verbraucherschutzes, so Roether, müsse eine Regulierung für Nahrungsergänzungsmittel und deren deutliche, für den Konsumenten erkennbare Differenzierung von pflanzlichen Arzneimitteln geschaffen werden.

 

Helmut Laschet

 

PK 2/2021