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Das wachsende Risiko von Antibiotikaresistenzen ist politisch erkannt – eine kausale Gegenstrategie ist allerdings komplex und langwierig. Sie erfordert hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung für neue Antibiotika und ein neuartiges Geschäftsmodell zur Refinanzierung von Innovationen, die nur gezielt und sparsam eingesetzt werden sollen. Weil die Hoffnung auf therapeutische Durchbrüche höchst ungewiss ist, muss die Strategie im Kampf gegen die Resistenzentwicklung durch weitere Maßnahmen flankiert werden: Verbesserung der Hygiene, schnellere Tests und Nutzung therapeutischer Alternativen, um vorhandene noch wirksame Antibiotika möglichst sparsam einzusetzen. Dazu zählt auch die Nutzung von Phytopharmaka, insbesondere in der hausärztlichen Versorgung.

Antibiotikaresistenzen haben in eine Krise geführt, der mit „höchster Dringlichkeit begegnet werden muss“ – diese Feststellung der WHO-Generaldirektorin Margaret Chan untermauerte Professor Dr. Karin Kraft von der Universitätsmedizin Rostock bei einem Symposion des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller in Berlin mit eindrucksvollen Zahlen: 2015 wurden in Europa 672.000 Erkrankungen mit den acht häufigsten multiresistenten Erregern registriert, 33.000 davon betroffene Menschen starben. Das europäische WHO-Regionalbüro mahnte die Ärzte 2018 zu einem zielgerichteten und sparsamen Einsatz von Antibiotika, um die Entstehung von Resistenzen zu bremsen. Denn unkritischer, nicht indizierter Einsatz von Antibiotika ist neben anderen Faktoren – infektiöser Hospitalismus aufgrund von Hygieneproblemen, zu früher Therapieabbruch und Unterdosierung – einer der wichtigen medizinischen Gründe für die Entstehung und Verbreitung von Resistenzen.

In der ärztlichen Praxis ist die Differenzierung zwischen bakteriellen, viralen und parasitären Ursachen einer Infektion mitunter nicht einfach – oft erwarten Patienten eine therapeutische Aktion, auch den Einsatz von Antibiotika, oder Ärzte unterstellen, dass Patienten eine Antibiotika-Verordnung wünschen, ohne dies explizit auszusprechen. Diagnostisch besteht das Problem, dass manche Untersuchungen wie z. B. Antibiogramme Zeit erfordern, bis Ergebnisse vorliegen.

 

Im Kampf gegen die weitere Zunahme von Antibiotikaresistenzen kommt der Verordnung pflanzlicher Antiinfektiva ein hoher Stellenwert zu.

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Leitlinien stützen die Phytotherapie

In einer solchen Situation sind Phytopharmaka nach Auffassung von Karin Kraft eine Option für eine antimikrobielle Therapie, ohne dass diese Antibiotika ersetzen könnten. Denn Pflanzen produzieren eine Vielzahl von sekundären Inhaltsstoffen, die unter anderem auch zur direkten Abwehr von mikrobiellen Angriffen dienen. Aufgrund der komplexen Inhaltsstoffe könne eine breite Wirkung erzielt werden:

  • Antimikrobiell wirkende Inhaltsstoffe wie zum Beispiel ätherische Öle haben eine relativ schwache, aber breite Wirkung.
  • Als Adjuvantien können Stoffe ohne oder mit geringer antibakterieller Aktivität genutzt werden, um die aktive oder passive Resistenzbildung zu minimieren. Dadurch könne die antibakterielle Aktivität des Antibiotikums wieder erhöht werden.
  • Phytopharma können eine unterstützende Wirkung bei der Heilung von infiziertem Gewerbe entfalten.Die Nutzung pflanzlicher Arzneimittel, darauf weist Kraft hin, ist inzwischen in diversen Leitlinien empfohlen:
  • Bei Rhinosinusitis für definierte Eukalyptusextrakte, Extrakte aus der Schlüsselblume, gelbem Enzian, Holunder, Eisenkraut und Ampferkraut laut AWMF- und DEGAM-Leitlinien.
  • Bei akuter Bronchitis und Erkältungskrankheiten wird der Einsatz von Myrtol, Thymian/Efeu oder Thymian/Primelwurzel in AWMF- und DEGAM-Leitlinien empfohlen und darauf hingewiesen, dass90 Prozent der Atemwegsinfektionen keine antibiotische Therapie benötigen

Geringerer Antibiotikaverbrauch

Der Effekt eines sofortigen Einsatzes von Phytopharmaka bei Atemwegsinfekten wurde in einer umfangreichen pharmaepidemiologischen Studie ermittelt. Nachbeobachtet wurden zwei Patientengruppen (eine mit und eine ohne Phytopharmaka-Verordnung in den Tagen 0 bis 3 nach Diagnose) mit je 206.000 Teilnehmern in Haus- und Kinderarztpraxen. Registriert wurde die Verordnung von Antibiotika in den Tagen 4 bis 21. Das Ergebnis: In den beobachteten 1067 Hausarztpraxen wurden 29 Prozent weniger Antibiotika-Verordnungen registriert, wenn frühzeitig Phytopharmaka eingesetzt wurden; dieser Effekt war in den 194 pädiatrischen Praxen noch deutlich stärker ausgeprägt. Durch gesetzliche Rahmenbedingungen werden Phytopharmaka allerdings diskriminiert, weil sie als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht regelhaft von den Kassen erstattet werden. Die Krankenkassen haben allerdings die Möglichkeit, Phytopharmaka als Satzungsleistung zu übernehmen – und sollten davon nach Auffassung von Kraft konsequenter Gebrauch machen. Flankiert werden müsse dies durch eine rationale Aufklärung der Öffentlichkeit über die Potenziale von pflanzlichen Arzneimitteln bei Infektionen. Ferner müssten staatliche Mittel für mehr Forschung zur Entwicklung pflanzlicher Antiinfektiva und Adjuvanzien bereitgestellt werden. Die Durchführung klinischer Studien müsse erleichtert werden.

Keineswegs, so betont auch Kraft, können Phytopharmaka Antibiotika ersetzen. Die Herausforderung, neue Wirkstoffe zu entwickelt, bleibt bestehen. Politisch ist dies auf der internationalen Agenda der G7, ebenso wie bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. Unter Beobachtung des Bundesgesundheitsministeriums stehen die Wirkungen von Rabattverträgen hinsichtlich ihrer Konzentrationseffekte und die anstehenden Nutzenbewertungen für neue antibiotische Wirkstoffe durch den Bundesausschuss, so der Leiter der Abteilung im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Müller. Angesichts des definitionsgemäß sehr begrenzten Absatzpotenzials der neuen Reserveantibiotika hält er ein neues Geschäftsmodell für notwendig. Im nationalen Maßstab ist das allerdings nicht lösbar.

 

Helmut Laschet

PK 1/2020