Das räumliche Denkvermögen bei kleinen Kindern spiegelt wider, wie gut sie später in Mathematik abschneiden werden. Das heißt, eine bereits in der frühen Kindheit ausgeprägte Fähigkeit für räumliches Denken kann eine entscheidende Rolle für ein gutes Verständnis mathematischer Konzepte im Schulalter spielen. Dieses Fazit zog ein Forscherteam der Universität Basel aus einer Untersuchung mit 586 Kindern, die im Rahmen eines Projekts zum Spracherwerb von Deutsch als Zweitsprache durchgeführt wurde. Aufgrund ihrer Erkenntnisse plädierte die Wissenschaftlergruppe unter der Leitung von Dr. Wenke Möhring für eine bessere Förderung des räumlichen Denkens schon bei kleinen Kindern.
In der Untersuchung hatten die Schweizer Forscher dreijährige Kinder eine Reihe von Aufgaben lösen lassen, um kognitive, sozioemotionale und räumliche Fähigkeiten zu testen. Zum Beispiel wurden die Kinder gebeten, farbige Würfel in bestimmten Formen anzuordnen. Diese Tests wurden viermal im Abstand von etwa 15 Monaten wiederholt und die Ergebnisse mit den schulischen Leistungen siebenjähriger Kinder in der ersten Schulklasse in Beziehung gesetzt. Darüber hinaus legten die Forscher einen Fokus auf die Frage, ob das Entwicklungstempo, vor allem eine besonders schnelle Entwicklung räumlicher Fähigkeiten, ein früher Indikator für das zukünftige mathematische Können sein kann, denn vorausgegangene Studien mit einer kleinen Stichprobe hatten eine solche Korrelation gefunden. Diese konnten Möhring und ihre Kollegen in ihrer eigenen Studie jedoch nicht bestätigen. Dreijährige Kinder, die mit geringen räumlichen Fähigkeiten begannen, verbesserten diese in den folgenden Jahren zwar schneller, aber im Alter von sieben Jahren lagen ihre mathematischen Leistungen immer noch auf einem erniedrigten Niveau. Trotz schnellerer Entwicklung der räumlichen Fähigkeiten hatten diese Kinder bei Schulbeginn im Mathematikverständnis noch nicht diejenigen Kinder vollständig eingeholt, die schon als Kleinkinder über ein höheres räumliches Denkpotenzial verfügt hatten.
Räumliches Denken bei Kindern kann durch entsprechendes Spielzeug schon frühzeitig gefördert werden.
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Die Zusammenhänge sind noch nicht vollständig geklärt
Wie genau sich die räumlichen Fähigkeiten auf die mathematischen Leistungen bei Kindern auswirken, ist noch unklar. Zumindest konnten die Forscher die Einflüsse anderer Faktoren, wie den sozioökonomischen Status oder die Sprachfähigkeit, ausschließen. Allerdings berichteten sie, dass die räumliche Konzeption von Zahlen von Bedeutung für die Verbindung zwischen 3D-Denken und mathematischen Fähigkeiten sein könnte. Dazu erläuterte Möhring in einer Pressemitteilung der Uni Basel: „Aus früheren Studien wissen wir, dass Erwachsene bei der Arbeit mit Zahlen räumlich denken, zum Beispiel kleine Zahlen links und große nach rechts darstellen. Aber es wurde wenig darüber geforscht, wie räumliches Denken in einem frühen Alter das spätere Lernen und Verstehen von Mathematik beeinflusst.“ Möhring ergänzte: „Unsere Ergebnisse legen nahe, wie wichtig es ist, räumliches Denken auch in jungen Jahren zu kultivieren.“ Es gebe einfache Möglichkeiten dies zu tun, etwa die Verwendung von „räumlicher Sprache“ (größer, kleiner, gleich, oben, unten) und Spielzeug wie Bausteine, die dazu beitragen, die räumliche Denkfähigkeit zu verbessern. Die Autoren halten es für wichtig, dass Eltern, Betreuer und Lehrer mehr über die einfach auszuführenden, aber effektiven Werkzeuge zur Verbesserung der räumlichen Fähigkeiten von Kindern lernen, wie eben räumliche Sprache, Spiel oder Gesten.
Die frühe Förderung räumlichen Denkens wirkt sich offensichtlich günstig auf das spätere Mathematikverständnis aus.
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Genderunterschiede im räumlichen Denken
Im Rahmen ihrer Studie entdeckten die Basler Wissenschaftler auch Divergenzen im räumlichen Denken der Geschlechter. Während sich im Alter von drei Jahren diese Fähigkeiten zwischen Jungen und Mädchen nicht unterschieden, wichen sie in der Folgezeit voneinander ab. Die Entwicklung verlief bei Mädchen langsamer als bei den Buben. Nach Meinung der Autoren könnten dafür Einflüsse aus der Umgebung, Erwartungen und Rollenzuordnungen verantwortlich sein. Möglicherweise hören Jungen mehr „räumliche Sprache“ und bekommen Spielzeuge, die für Jungen entwickelt wurden und die oft das räumliche Denken fördern, während Spielzeug für Mädchen hauptsächlich mit sozialen Fähigkeiten verknüpft wird. Auch könne es sein, dass sich Kinder die Erwartungen von Eltern und Lehrern derart aneignen, dass sie im Erwachsenenalter den Stereotypen gerecht werden, zum Beispiel, dass Frauen auf den Gebieten räumliches Denken und Mathematik nicht so gut abschneiden wie Männer.
Dr. Dagmar van Thiel
Quelle: Möhring W et al. Developmental Trajectories of Children’s Spatial
Skills: Influencing Variables and Associations with Later Mathematical
Thinking. Learning and Instruction
2021; 75, 101515. doi.org/10.1016/j.lear
ninstruc.2021.101515 Pressemitteilung,
EurekAlert, vom 20. Juni 2021
PK 5/2021