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Die Zöliakie, auch als Gluten-induzierte Enteropathie bezeichnet, ist eine immunologisch bedingte Erkrankung, die unerkannt schwere Folgen hat. Sie zählt jedoch wegen ihres breiten Spektrums an vielfach unspezifischen Symptomen zu den häufigsten übersehenen Entitäten.

Die Zöliakie (früher auch glutensensitive oder einheimische Sprue genannt) ist eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung, die auf einer gluteninduzierten chronischen Entzündung der Dünndarmschleimhaut beruht und bei Personen mit entsprechender genetischer Prädisposition praktisch in jedem Lebensalter auftreten kann. Am häufigsten beginnt sie aber bereits im frühen Kindesalter. Die klassische Zöliakie manifestiert sich beim Kleinkind meist mit Gedeihstörungen, Malabsorption, Gewichtsverlust, Steatorrhoe und Eiweißmangelödemen.

„Heute hat sich das Erscheinungsbild der Zöliakie jedoch verändert“, heißt es im aktuellen Weißbuch Gastroenterologie 2020/2021 der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie: „Die meisten Betroffenen mit Zöliakie leiden unter abdominellen Beschwerden, wie Dyspepsie, Flatulenz oder Wechsel der Stuhlgewohnheiten mit Obstipation, aber auch extraintestinalen Symptomen, wie Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Depressionen. Gelegentlich sind aber auch nur laborchemische Veränderungen, z. B. Transaminasenerhöhungen oder eine Eisenmangelanämie die einzigen Indikatoren“.

Auslöser für die Zöliakie ist das Getreideeiweiß Gluten, auch als Klebereiweiß bezeichnet. Es findet sich vor allem in Weizen, einschließlich Dinkel, Grünkern, Einkorn, Emmer und Kamut, sowie in Roggen und Gerste. Bestandteile des Klebereiweißes, die Gliadine, können bei den Betroffenen die Darmschleimhaut durchdringen und Reaktionen des darmassoziierten Immunsystems auslösen, die zur Schädigung der Dünndarmschleimhaut mit Atrophie der Darmzotten führen, welche normalerweise für eine Vergrößerung der Darmoberfläche und eine bessere Nährstoffaufnahme sorgen. Eine häufige Folge der Zöliakie sind deshalb Nährstoffdefizite, zum Beispiel eine unzureichende Versorgung mit Eisen, Calcium oder Vitaminen.

 

Auslöser für die Entstehung der Zöliakie ist Gluten, das als Klebereiweiß in zahlreichen Getreidesorten vertreten ist.

Bildnachweis: AdobeStock_177899317_schankz

 

Vielfalt der Symptome erschwert die Diagnose

Aber auch eine Vielzahl anderer Beschwerden sind möglich. Eine davon ist das aufgetriebene und vorgewölbte Abdomen, auf das der Name der Krankheit zurückgeht. Zöliakie ist abgeleitet von „koilia“ (Griechisch die „bauchige Krankheit“), wie sie bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus beschrieben wurde. Diesen Blähbauch findet man häufig bei Kleinkindern mit Zöliakie, meist in Kombination mit einer Gedeihstörung und chronischem Durchfall. Doch in den meisten Fällen und mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit dieser deutlichen Anzeichen eher ab.

Oft handelt es sich dann um unspezifische Beschwerden, die auch Ärzte nicht immer sofort an eine Zöliakie denken lassen. Dazu zählen allgemeine Verdauungsprobleme, chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit (meist bedingt durch einen Eisenmangel und Anämie), ferner Konzentrationsstörungen, chronische Kopfschmerzen, depressive Verstimmung, Haarausfall oder brüchige Nägel, Zahnschmelzdefekte sowie eine Neigung zu Knochenbrüchen. Auch juckende Hautausschläge können eine Form der Zöliakie sein, die dann als Dermatitis herpetiformis Duhring bezeichnet wird (Katharina Werkstetter, Sibylle Koletzko, Diagnose und Therapie der Zöliakie im Kindesalter, Monatsschr Kinderheilkd 2020; 168: 457–470, https://doi.org/10.1007/s00112-02000887-y). Aufgrund ihrer unterschiedlichen Erscheinungsbilder gilt Zöliakie als „Chamäleon der Gastroenterologie“.       Es gibt bestimmte Risikogruppen mit einem höheren Risiko für Zöliakie. Dazu zählen Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 oder Hashimoto-Thyreoiditis, sowie nahe Verwandte (Eltern, Kinder oder Geschwister) von Zöliakiebetroffenen oder Menschen mit Chromosomenaberrationen (z. B. Down Syndrom oder Ullrich-Turner-Syndrom).

 

Einzige Therapie ist lebenslange glutenfreie Ernährung

Die Ernährungsumstellung bedeutet gerade zu Beginn eine große Veränderung für die Betroffenen, denn es müssen auch kleinste Spuren von Gluten gemieden werden. Deshalb müssen schon beim Einkaufen ganz genau die Zutatenlisten studiert werden. Auch das Essen außer Haus ist eine Herausforderung. Denn bei der Zubereitung wird oft nicht darauf geachtet, eine mögliche Verunreinigung mit glutenhaltigen Zutaten zu vermeiden.

 

  • Als „glutenfrei“ gelten Lebensmittel mit einem Glutengehalt < 20 ppm (mg/kg),
  • während „glutenarm“ als Glutengehalt zwischen 20 und 100 ppm definiert ist.
  • Verboten sind alle Lebensmittel, die Anteile aus Weizen, Dinkel, Grünkern, Roggen, Gerste, Kamut, Tritikale, Emmer und Einkorn enthalten.
  • Erlaubte Getreidesorten sind Mais, Reis, Hirse, Amaranth, Buchweizen, Quinoa und Hafer.

 

Die Getreideprodukte müssen mit dem Symbol der durchgestrichenen Ähre als glutenfrei gekennzeichnet sein. Detaillierte Informationen und praktische Ratschläge für Zöliakiebetroffene werden von der Deutschen Zöliakiegesellschaft (DZG) in Stuttgart (www.dzg-online.de) sowie von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Zöliakie (www.zoeliakie.or.at) und der IG Zöliakie der Deutschen Schweiz (www.zoeliakie.ch) angeboten.

 

Zöliakie ist häufiger als bisher angenommen

In Deutschland schätzte man früher die Prävalenz auf 0,05 Prozent (ein Betroffener auf 2000 gesunde Personen). Heute ist inzwischen klar, dass es deutlich mehr Betroffene gibt. Im Rahmen der großen deutschlandweiten KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts wurden die Blutproben von 12.741 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren auf die Zöliakie-spezifischen AutoAntikörper gegen Gewebstransglutaminase (tTG) untersucht.

Die Analyse ergab eine böse Überraschung: 0,8 Prozent der Kinder zeigten erhöhte tTG-Spiegel, eine Zöliakie ist in diesen Fällen sehr wahrscheinlich. Zusätzlich gab es 13 Kinder (0,07 Prozent) mit bereits bekannter Zöliakiediagnose. Die Autoren berichten daher eine Gesamtprävalenz der Zöliakie von 0,9 Prozent schon im Kindes- und Jugendalter (Laass MW, et al., Zöliakieprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 553– 60; DOI: 10.3238/arztebl.2015.0553). In einigen Ländern wie Schweden liegt sie sogar bei zwei Prozent und mehr. „Aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungsbilder wird die Diagnose oft (zu) spät gestellt“, so das „Weißbuch Gastroenterologie 2020/2021“: „Bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen ist die Erkrankung immer noch unbekannt“. Personen mit subklinischen Formen werden meist im Rahmen von Screeningprogrammen, bei der Testung Verwandter 1. Grades oder bei gezielter Suche nach möglichen Ursachen von Komorbiditäten identifiziert. Vor allem bei Patienten mit weniger deutlichen Beschwerden bleibt die Zöliakie manchmal lange Zeit unerkannt.

Dabei ist als erster Schritt zur Abklärung einer Zöliakie lediglich eine einfache und kostengünstige Blutuntersuchung notwendig. „Für die erste serologische Untersuchung soll unabhängig vom Alter des Patienten nur der Transglutaminase (tTG)-IgA- in Kombination mit dem Gesamt-IgA-Titer bestimmt werden“, betonen Katharina Werkstetter und Sibylle Koletzko in ihrem CME-Beitrag in der Monatsschrift Kinderheilkunde. „Bei IgA-kompetenten Personen reicht die Bestimmung von tTG-IgA-Antikörpern als Suchtest aus. Bei den wenigen Patienten mit niedrigem IgA-Spiegel (Gesamt-IgAKonzentration < 0,2 g/l bzw. altersabhängige Referenzwerte) muss im zweiten Schritt ein spezifischer IgG-basierter Antikörpertest durchgeführt werden“. Bei positivem Bluttest wird zur Diagnosesicherung in der Regel eine Endoskopie mit der Entnahme von Biopsieproben aus der Pars descendens duodeni und dem Bulbus duodeni durchgeführt. Diese werden dann auf die typischen Veränderungen der Darmzotten hin untersucht. Histologische Zeichen der Enteropathie allein reichen jedoch für die Zöliakiediagnose nicht aus und müssen stets durch die serologischen Nachweise abgesichert werden.

 

Durch Diätfehler drohen Komplikationen

Als einzige, aber sehr wirksame Therapie hilft nur eine konsequente, lebenslange, strenge Diät, mit strikter Meidung aller glutenhaltigen Getreideprodukte sowie daraus hergestellter Speisen (siehe Kasten). Trotz aller Einschränkungen lernen die meisten Patienten mit der Zeit, die Ernährungsumstellung im Alltag gut umzusetzen. Unter der streng glutenfreien Ernährung erleben die Betroffenen in aller Regel eine schnelle und dauerhafte Besserung ihrer Symptome. Doch auch bei gutem Verlauf kann es gerade bei Erwachsenen mit Zöliakie ein bis drei Jahre dauern, bis die Schleimhaut sich vollständig erholt bzw. die Darmzotten sich wieder regeneriert haben. Wird die glutenfreie Ernährung allerdings nur unzureichend oder gar nicht eingehalten, kann es bei Kindern zu Störungen der Entwicklung und des Wachstums kommen und auch erwachsene Patienten können wieder Symptome entwickeln. Doch selbst ohne Beschwerden sind gesundheitliche Langzeitfolgen möglich. Dazu zählt insbesondere das Risiko für Knochenbrüche aufgrund einer Osteoporose.

Auch eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit und ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Fehl- und Frühgeburten wird im Zusammenhang mit unbehandelter Zöliakie beschrieben. Seltene Komplikationen sind bösartige Erkrankungen des Verdauungstraktes (Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom (EATL), Adenokarzinom des Dünndarms). Menschen, die unter Zöliakie leiden, haben zudem ein zwar moderat, aber dennoch signifikant erhöhtes Risiko, vorzeitig zu sterben. Dies geht aus einer bevölkerungsbasierten Studie hervor, die aktuell im JAMA veröffentlicht wurde (Lebwohl B. et al., Association Between Celiac Disease and Mortality Risk in a Swedish Population, JAMA. 2020; 323 (13): 1277–1285. doi:10.1001/jama.2020.1943). Das Forscherteam des Epidemiologen Dr. Jonas F. Ludvigsson vom Karolinska Institut Stockholm analysierte die Daten aller Personen, die zwischen 1969 und 2017 in Schweden mit Zöliakie diagnostiziert wurden. Es handelte sich dabei um histologische Diagnosen, die bei Darmbiopsien von 49 829 in der epidemiologischen Studie ESPRESSO (Epidemiology Strengthened by histoPathology Reports) registrierten Patienten gestellt wurden.

Der Vergleich mit den Daten schwedischer Sterberegister ergab: Nach einer Nachbeobachtungszeit von median 12,5 Jahren waren 6.596 (13,2 Prozent) Patienten gestorben. Die Mortalität lag bei 9,7 Todesfällen pro 1.000 Personen-Jahren und damit signifikant höher als in einer Vergleichsgruppe mit 246.426 Personen mit 8,6 Todesfällen pro 1.000 Personen-Jahre. Die Zöliakie-Patienten starben häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Atemwegserkrankungen.  Das Ergebnis überraschte vor allem aufgrund der Tatsachen, dass das Bewusstsein für die Krankheit in den letzten Jahren gestiegen sei und der Zugang zu glutenfreier Nahrung verbessert wurde.

 

Wird bei Zöliakie-Kindern die glutenfreie Ernährung nicht konsequent eingehalten, drohen Entwicklungs- und Wachstumsstörungen.

Bildnachweis: AdobeStock_24398746_mbt_studio

 

 

Lajos Schöne

PK 4/2020